Gauting:Ein Haus mit Geschichte

Das Schulgebäude an der Bahnhofstraße, das jetzt abgerissen wird, war einst Hotel und Zigarrenfabrik. Eine Schwefelquelle sollte dem Ort einen Touristenboom bescheren, doch nach nur wenigen Jahren ist sie versiegt

Von Michael Berzl, Gauting

Die ersten Ziegelwände sind zertrümmert, Blechdächer liegen zerknüllt im ehemaligen Pausenhof, zwei Abrissbagger fressen sich Stück für Stück durch das alte Schulhaus an der Bahnhofstraße in Gauting. Bis zum Ende der Sommerferien sollen nach den Planungen der Immobilienfirma, die dort einen großen Gebäudekomplex mit Wohnungen und Läden errichtet, die gröbsten Arbeiten erledigt sein. Mit dem Abriss verschwindet aber auch ein Stück Gautinger Architekturgeschichte, das seinen Anfang genommen hatte, als es im Ort noch ein Schwefelbad gab.

Am südlichen Ortsrand, wo sich heute das Caritas-Mädchenheim befindet, hatte der Münchner Steinmetzmeister Ignaz Lallinger bei Brunnenbohrungen für die Trinkwasserversorgung 1872 eine Schwefelquelle entdeckt. Laut Messungen der Universität München war es das reinste kalte Schwefelwasser im damaligen Deutschen Reich, berichten Ortschronisten. Lallinger beschloss, sein Gästehaus in eine Trink- und Badeanstalt umzuwandeln; das dreistöckige Hauptgebäude hatte 30 Fremdenzimmer plus Speisesaal, Musik- und Lesezimmer, seine "Elfriedenquelle" wurde bald über den Landkreis hinaus bekannt.

Gauting: Auf alten Postkarten sind Bilder von den Anfangszeiten des Gebäudes als stattliches Hotel zu sehen. Sogar einen Konzertsaal gab es damals.

Auf alten Postkarten sind Bilder von den Anfangszeiten des Gebäudes als stattliches Hotel zu sehen. Sogar einen Konzertsaal gab es damals.

(Foto: Gemeindearchiv Gauting)

Eine große Zukunft als Fremdenverkehrsort, als Kurbad gar schien bevorzustehen, und Georg Hiltl, der Gründer der Villenkolonie, witterte seine Chance. Der Posthalter, Wirt und Immobilienunternehmer ließ 1898 das Bahnhofshotel errichten und hoffte auf gute Geschäfte mit den Gästen des Schwefelbads, das 1873 eingerichtet worden war. Ein stattliches Gebäude mit vier Etagen, Holzbalkonen, Rundbogenfenstern und vielen Dachgauben dominierte nun die Bahnhofstraße. Selbst einen Konzertsaal gab es. Davon zeugen einige Postkarten, die Regine Hilpert-Greger im Gemeindearchiv aufbewahrt. Es herrschte Aufbruchstimmung. Die Elektrifizierung des Ortes, die Gründung der Villenkolonie, der Aufbau der Haerlinschen Papierfabrik, all das trug dazu bei. Die Bahnstation in Gauting wurde 1854 eröffnet.

Doch der Glanz des Hotels verblasste bald, die Schwefelquelle versiegte nach nur wenigen Jahren, der Tourismusboom war vorbei, kaum dass er begonnen hatte. Der Bau erwies sich für einen Ort wie Gauting als völlig überdimensioniert. Das Hotel wurde geschlossen, Pächter kamen und gingen, die einstigen Fremdenzimmer wurden zwischenzeitlich als Wohnungen fest vermietet. Eine Weile baute eine Elektrofirma dort Telefonapparate und Radiogeräte. Bis schließlich im Jahr 1924 die österreichische Tabakwarenfabrik Austria das gesamte Gebäude kaufte und Virginia-Zigarren herstellen ließ. Bis zu 325 Beschäftigte haben dort gearbeitet, berichtet Gemeindearchivarin Hilpert-Greger. Vor allem Frauen haben ihr Geld verdient. An der Ammerseestraße entstand die Direktionsvilla der Fabrikanten, die heute unter Denkmalschutz steht. Die Produktion der Virginia-Zigarren wurde 1943 stillgelegt, die Wehrmacht übernahm das Gebäude als Sanitätslager. Am Ende des Zweiten Weltkriegs nutzte die US-Armee die Räume als Depot für Medikamente, später wurden dort sogenannte Displaced Persons untergebracht, Menschen, die in den Kriegswirren heimatlos wurden.

Gauting: Ein Stück Gautinger Ortsgeschichte liegt in Trümmern. Abrissbagger fressen sich durch das alte Schulhaus an der Bahnhofstraße.

Ein Stück Gautinger Ortsgeschichte liegt in Trümmern. Abrissbagger fressen sich durch das alte Schulhaus an der Bahnhofstraße.

(Foto: Arlet Ulfers)

Als aus dem Hotel eine Fabrik wurde, kam ein großer Abluftkamin aufs Dach. Ansonsten blieben bei diesem Umbau Stil und Charakter des Gebäudes weitestgehend erhalten. Es war damals wesentlich größer als heute. Einem alten Tekturplan ist zu entnehmen, dass das Gebäude, das als Hotel gebaut und später als Fabrik genutzt wurde, bis zum First 21,40 Meter hoch war. Bürgermeisterin Brigitte Kössinger ist diese Angabe wichtig als Argument bei Debatten über den geplanten Neubau. Erst beim Umbau zur Grundschule Mitte der Fünfzigerjahre wurde die Höhe auf 15,90 Meter reduziert. Dabei erhielt das Gebäude ein völlig neues Gesicht, von der ursprünglichen Fassade ist seither nichts mehr zu erkennen.

Besonders engagiert hatte sich für die Schule damals Vize-Bürgermeister Josef Dosch, der dann auch Namenspatron wurde. Im März 2010 fand der Schulbetrieb ein jähes Ende, als in einem Flur ein Stück der Decke herunterkrachte. Seither steht das Haus leer. Gutachter fanden heraus, dass sich eine Sanierung wirtschaftlich nicht mehr lohnt. Bei den Untersuchungen kam auch die wechselvolle Geschichte des Hauses in der Bausubstanz zum Vorschein. Teilweise waren mehrere Decken unterschiedlicher Konstruktionsart übereinander montiert.

Nun werden Mauern und Decken in Lastwagen abtransportiert. Von dem Haus sind bald nur noch Erinnerungen und Fotos übrig. Stattdessen entsteht ein dreiteiliger Gebäudekomplex mit Wohnungen und Läden im Erdgeschoss. Nach den Zahlen, die im Archiv im Rathaus vorliegen, hat die Gemeinde Gauting 261 000 Mark bezahlt, als sie 1954 den Gebäudekomplex kaufte, um daraus eine Schule zu machen. Im vergangen Jahr flossen für das etwa 4500 Quadratmeter große Grundstück in zentraler Lage neun Millionen Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: