Gauting:Der Hölle entkommen

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Der Holocaust-Überlebende Aba Naor berichtet am Gautinger Gymnasium, wie es ihm gelang, die Qualen in drei Konzentrationslagern zu überstehen - die Angst ist ihm geblieben

Blanche Mamer

Gauting"Wir haben den Schweinen das Futter aus dem Trog gestohlen. Eine Kartoffel bedeutete einen weiteren Tag Leben", sagt Aba Naor. Der alte Mann - er ist 85 - steht aufrecht vor 160 Neuntklässlern des Otto-von-Taube-Gymnasiums in Gauting und berichtet von seiner Jugend in Litauen, den Konzentrationslagern in Kaunas, Stutthof, Dachau und den Außenlagern Utting und Kaufering.

"Jedes Erzählen ist Wiedererleben", sagt er und bemüht sich, in seiner eindringlichen Erzählung doch distanziert zu bleiben. Fast zwei Stunden lang hören die Schüler aufmerksam den unvorstellbaren Erlebnissen von Todesangst, Hunger, Durst, Folterungen und den Folgen bis heute zu. Seit vielen Jahren muss Aba Naor nicht mehr hungern, doch die Angst ist ein Teil von ihm. "Der Kühlschrank muss immer voll sein", sagt er. Seine Kinder wissen das, seine Enkel und die sechs Urenkel ebenso. Er berichtet, dass sein älterer Bruder, noch im Ghetto von Kaunas, beim verbotenen Versuch, Lebensmittel zu besorgen, geschnappt wurde. Es gab kein Mitleid. Wie 25 weitere Kinder wurde der Bruder exekutiert.

Aba Naor bei seinem Vortrag vor Gautinger Gymnasiasten Foto: Georgine Treybal (Foto: Georgine Treybal)

Der Holocaust-Überlebende erzählt, wie 1943 aus den zwei Ghettos ein Konzentrationslager wurde. Lange bevor bei der Wannsee-Konferenz die sogenannte Endlösung der Juden beschlossen wurde, wurden die deportierten europäischen Juden in die Festungen und KZ nach Litauen gebracht, um getötet zu werden. Mitte 1944 wurde die Familie Naor ins KZ Stutthof bei Danzig gebracht. Die Mutter und den kleinen Bruder sah er zuletzt am 26. Juli 1944, bevor sie nach Auschwitz deportiert und am selben Tag umgebracht wurden.

"Man brauchte Arbeitskräfte, ich war einer von 650, die ausgewählt wurden. Wir wurden in Viehwaggons verfrachtet, sechs Tage und Nächte ohne Essen und Trinken. Mehr tot als lebend kamen wir in Utting am Ammersee an. Wir mussten selbst unser Lager bauen." Für den knapp 16-Jährigen hieß das, zwölf Stunden zu arbeiten, erst abends gab es Suppe und ein Stück Brot. "Manche sind am Leben geblieben. So wie ich" , sagt er fast emotionslos.

Bald bekam er eine großartige Arbeit, als Heizer auf einer Lokomotive, dann als Lokführer. Da hatte er Gelegenheit, anzuhalten und auf den Feldern Rüben und Kartoffeln zu stehlen. Als Freiwillige für das KZ-Kaufering gesucht wurden, meldete er sich, denn dort vermutete er seinen Vater. Beim Bau von unterirdischen Rüstungsanlagen mussten alle Häftlinge sechs Stunden am Stück 50 Kilo schwere Zementsäcke schleppen. Sie liefen "in Holzpantinen über glitschige Bretter. Wer stürzte, blieb liegen und wurde in die Wände eingebaut".

Ob er nie an Flucht gedacht hat, will ein 14-Jähriger wissen. "Fliehen - aber wohin denn?", antwortet Aba Naor. Sicher, als Eisenbahner in Utting, da hätte er Gelegenheit gehabt. Doch wo hätte er bleiben sollen. "Wie ist das, wenn Sie die alten Fotos sehen?", fragt ein anderer Schüler. "Ich sehe Bilder auch ohne diese Bilder. Wir sind befreit worden, physisch ja, aber nicht seelisch." Und Aba Naor mahnt: "Bleibt Kinder, so lange es geht. Geht zur Schule und lernt!" Es spiele keine Rolle, ob 1,5 oder zwei Millionen Kinder umgebracht wurden, jedes Einzelne sei zu viel, sagt er. Und ja, sein Vater hat ihn gefunden, sechs Monate nach Kriegsende. Er selbst sah einen der KZ-Wächter aus Kaunas im Polizeipräsidium in München wieder. Der Mann trug Polizeiuniform. Da stand für Aba Naor fest, dass er nach Palästina auswandern werde.

Dan Shaham, der israelische Generalkonsul für Süddeutschland, konnte anders als geplant nicht zur Diskussion mit den Zwölftklässlern bleiben, aus Termingründen. Shaham ist es ein Anliegen, den Dialog mit der Jugend zu unterstützen. Seit 2006 hat das Gautinger Gymnasium einen Schüleraustausch mit dem Brenner-Gymnasium nahe Tel-Aviv.

© SZ vom 11.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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