Erika hat es auch an diesem Dienstag geschafft. Die 63-Jährige ist aufgestanden, hat sich gewaschen und angezogen und ein bisschen Make-up aufgetragen. Dann ist sie zur Bushaltestelle gelaufen und von Stockdorf nach Gauting gefahren, zur Kontakt- und Begegnungsstätte (KUB) von Condrobs. Jetzt sitzt sie an einem der drei Tische, die zentral im Aufenthaltsraum stehen und schält eine Mandarine. „Gestern war ich auch da. Ich würde am liebsten jeden Tag kommen, doch manchmal geht es nicht.“ Warum? „Wegen der Depressionen“, sagt sie und blickt verlegen zu Boden.
Erika, die hier nur mit ihrem Vornamen genannt werden soll, weiß nicht, was zuerst da war: Der Alkohol oder die Depression. Im Frühjahr hat sie einen Entzug gemacht, danach Therapie. Nun kommt sie nun regelmäßig hierher, zum Reden, Lachen, Spielen, und Jammern – und vor allem zum Essen. „Wissen Sie, jeden Tag alleine zu essen – das ist nichts“, sagt sie. Da fange sie meistens erst gar nicht das Kochen an.
So wie Erika geht es vielen Menschen im Landkreis, die suchtgefährdet oder suchtkrank sind. Manche leben abstinent, manche schaffen das nur zeitweise, andere wissen noch nicht so genau, ob es in ihrem Fall schon eine Sucht ist und wenn ja, ob sie etwas dagegen unternehmen wollen. „Für uns spielt das keine Rolle“, sagt Katharina Egenhofer. Die 35-Jahre alte Sozialpädagogin und Suchtherapeutin leitet die Condrobs-Einrichtung seit einem Jahr und freut sich über jeden Gast. „Es gibt nur eine Regel bei uns: Man muss am Tagesablauf teilnehmen können.“ Täglich kommen bis zu 15 Klienten. Das Angebot ist vielfältig. Es gibt ein Wohnzimmer mit Fernseher, ein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer mit PC, ein Musikzimmer, ein Badezimmer mit Dusche und Waschmaschine, einen Bastel- und einen Gymnastikraum, mehrmals die Woche gibt es Sportangebote. Außerdem Gesprächsgruppen, Themengruppen und Spielenachmittage sowie Einzelgespräche. Neben Egenhofer stehen vier weitere hauptamtliche Fachkräfte parat.
Doch das Zentrum der KUB sind nicht die Büros und Besprechungszimmer, sondern die Küche. Jeden Tag bereiten ehrenamtliche Helfer mit Unterstützung von Klienten ein bewusst kostengünstiges und frisches Mittagsessen zu, das die Klienten lediglich 2,50 Euro kostet. Erst wird gemeinsam geschnippelt, gerührt und geknetet, dann gemeinsam gegessen. Immer um 12.30 Uhr. An diesem Dienstag riecht es streng nach Kohl, auf dem Speiseplan steht Kohl-Rahm-Gemüse mit Salzkartoffeln. Erika kann nicht mitkochen, ihr schmerzt der Rücken beim Stehen. Also haben die anderen die Kartoffeln und den Kohl geschnitten, jetzt kommt Bernd Ziem alleine zurecht. Der 51-Jährige kocht jeden Dienstag ehrenamtlich in der Einrichtung, „weil es mir Spaß macht und ich anderen helfen kann“, wie er sagt. Ziem war selbst jahrzehntelang drogen- und alkoholabhängig, seit 2020 lebt er abstinent. Er gibt noch ein wenig Muskatnuss ins Gemüse – fertig. In die Liste eingetragen haben sich sechs Klienten, am Tisch werden wieder mehr sitzen. „Das Anmelden ist nicht jedermanns Sache“, weiß Egenhofer.



Nur einmal in der Woche steht Fleisch auf dem Speisenplan, dann ist es immer besonders voll. Vor allem, wenn es Schnitzel gibt. Erika sagt, sie möge am liebsten Spinat. Doch sie esse schon lange nicht mehr, worauf sie Appetit habe – sondern das, was im Angebot sei. Das bisschen Rente, das sie bekomme, reiche nicht für mehr. Das Essen in der KUB könne sie sich gerade noch leisten – mehr aber auch nicht. Das ist auch der Grund, weshalb die Einrichtung den Preis nicht wieder erhöhen will, obwohl sie es eigentlich müsste. Infolge der Inflation sind die Kosten für Lebensmittel gestiegen, die KUB gibt monatlich etwa 800 Euro für das Mittagessen aus und nimmt 300 Euro ein. Das Defizit ist damit so groß geworden, dass der Zuschuss vom Bezirk Oberbayern nicht mehr ausreicht. Es ist noch nicht lange her, da kostete eine Mahlzeit in der KUB noch zwei Euro. „Wir wollen nicht, dass die Leute nicht mehr kommen, weil sie sich das Essen nicht mehr leisten können.“
SZ Gute Werke hat eine Spende versprochen, um das Angebot des günstigen Mittagstischs zu sichern. „Es ist für viele unserer Klienten ein fester Punkt im Tagesablauf. Das gibt Struktur und motiviert das Haus zu verlassen, auch wenn es jemandem vielleicht nicht so gut geht“, weiß Egenhofer. Erika hat sich fest vorgenommen, auch am Mittwoch wiederzukommen. Als sie erfährt, dass der Mittagstisch unterfinanziert ist, sagt sie beschämt: „Ich würde ja gerne mehr bezahlen, aber ich kann nicht.“
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