Süddeutsche Zeitung

Gauting:Auf der Jagd nach den entlaufenen Kälbern

Ein ganzes Team sucht am Wochenende nach den 14 Tieren, die sich seit elf Tagen im Wald verstecken. Mit der Hilfe des Veterinärmediziners Henning Wiesner gelingt es, vier Tiere einzufangen.

Von Carolin Fries, Hausen

Die gute Nachricht zuerst: Vier der vor elf Tagen entlaufenen Jungrinder sind nach acht Tagen auf der Flucht wieder zurück in ihrem Stall. Die schlechte Nachricht: Zehn Tiere treiben sich noch immer in den Wäldern des Landkreises herum. Seit Freitag läuft eine in der Geschichte des Landkreises wohl einmalige Einfangaktion unter Beteiligung diverser Behörden. Fazit nach drei Tagen: Die Kälber sind schwerer zu kriegen als angenommen.

Insgesamt 41 Jungrinder waren am 2. Februar aus einem Stall in Hausen ausgebrochen, weil offenbar ein Unbekannter das 2,70 Meter breite, unverschlossene Stahlgatter heimlich geöffnet hatte. Die Färsen liefen in alle Himmelsrichtungen davon. Einige Tiere wurden erst Stunden später hinter Mamhofen, bei Königswiesen und Unterbrunn entdeckt. Binnen der ersten 24 Stunden gelang es der Polizei und Helfern, insgesamt 27 Tiere einzufangen. 14 Jungrindern blieben verschollen.

Weil die Gefahr bestand, dass die Tiere auf Bahngleise oder Straßen laufen und damit eine akute Gefahr darstellten, stand am Montag noch ein möglicher Abschuss der Tiere im Raum. Das aber wollte der betroffene Landwirt Georg Führer in jedem Fall verhindern - und wandte sich hilfesuchend an den im Landkreis lebenden Veterinärmediziner Henning Wiesner.

Wiesner war von 1980 bis 2009 Direktor des Münchener Tierparks Hellabrunn. 2011 konnte er bei Mühldorf die wohl prominenteste entlaufene Kuh, "Yvonne", nach fast vier Monaten einfangen. Der Tiermediziner hatte die Idee, die Jungtiere mit dem Muhen einer Mutterkuh aus dem Wald zu locken. Dann, so der Plan, könne man sie mit dem Blasrohr betäuben.

Am Freitagvormittag traf man sich zum Runden Tisch im Landratsamt. Die Kreisbehörde musste eine Erlaubnis erteilen, dass auf die Kälber geschossen werden darf, wenn auch "nur" mit dem Narkosegewehr oder dem Blasrohr. "Das Rind ist kein jagbares Tier", sagt Sprecher Stefan Diebl. Neben der Unteren Waffenbehörde saßen am Tisch: Veterinärmediziner des Landratsamtes, Vertreter der Jägerschaft sowie der Polizeiinspektionen Starnberg und Gauting, Henning Wiesner und der Landwirt.

Es galt, ein Fanggehege aufzutreiben sowie eine Mutterkuh mit ihrem Kalb. Würde man die beiden Rinder an Ort und Stelle voneinander trennen, würde das laute Rufen beider die entlaufenen Tiere aus ihrem Versteck locken, so die Hoffnung. Wichtigste Voraussetzung dafür: absolute Ruhe und keine Störung durch "freiwillige Helfer aus der Bevölkerung" oder Journalisten. Im Starnberger Landratsamt hatten sich bereits Fernsehteams gemeldet, die die abenteuerliche Jagd begleiten wollten.

Es kam dann ganz anders: Nur wenige Stunden nach dem Meeting im Landratsamt wurden zwei Tiere in der Nähe des heimischen Hofes gesichtet. Also machte sich das Team um Henning Wiesner auf den Weg, ausgerüstet sowohl mit Narkosegewehr als auch Blasrohr. Während es in Hausen gelang, die sehr scheuen, 250 bis 400 Kilogramm schweren Rinder zu betäuben und zurück in den Stall zu schaffen, hielt die Polizei zwei Tiere in Oberbrunn in Schach, die dort auf einem Rübenacker gemeldet wurden. Auch sie wurden anschließend von Wiesner via Blasrohr betäubt und stehen inzwischen wieder daheim im Stall.

Am Samstag sollte die Aktion eigentlich fortgesetzt werden, doch wurde kein Tier gesichtet. Das mag auch an dem Trubel gelegen haben, der bei schönstem Wetter auf Flur und Feldern rund um Hausen herrschte. Georg Führer spricht von einer "Völkerwanderung", reihenweise Schaulustige seien mit Ferngläsern unterwegs gewesen. "Auch Reiter und viele freilaufende Hunde", erzählt Führer, der dringend darum bittet, die Wälder rund um Hausen in den kommenden Tagen zu meiden. "Das bringt nur Unruhe rein."

Um die verschreckten, etwa acht Monate alten Kälber aus dem Wald zu locken, soll nun in dieser Woche die ursprünglich geplante Aktion mit der Mutterkuh stattfinden. Dafür will Henning Wiesner anhand der Fußspuren die Marschrichtung der Tiere festmachen, um an einem geeigneten Ort das Fanggehege zu platzieren. Gut möglich aber, dass wieder etwas dazwischenkommt.

Bei einem Rundgang am Sonntag fehlte von den zehn Tieren jede Spur. Georg Führer und seine Familie sind in großer Sorge. Sie wollen weder, dass ihre Tiere Schaden anrichten, noch dass den wertvollen Jungrindern - ein jedes hat einen Marktwert von etwa 1000 Euro - etwas zustößt. "Wir machen kaum ein Auge zu", erzählt Georg Führers Tochter Alexandra. Henning Wiesner hat ebenfalls Sorgen, wenn auch ganz anderer Art. Er wollte an diesem Montag eigentlich in den Urlaub fliegen, wird sein Ticket nun aber stornieren. "Ich kann die Tiere jetzt nicht im Stich lassen", sagt er.

Der Sommer mit Yvonne

Die Kuh Yvonne reiht sich in die Reihe prominenter Tiere ein, deren Schicksal ganze Landstriche in Aufruhr versetzte. Sie war im Mai 2011 von Kärnten nach Niederbayern verkauft worden, wo sie ihrem neuen Besitzer entkam. Sie streifte fortan durch die Maisfelder und Wälder Mühldorfs. Wenig später lief das Tier geradewegs vor ein Polizeiauto - weshalb Yvonne wegen Gefährdung des Straßenverkehrs zum Abschuss freigegeben wurde. Erst als Tierschützer die Kuh gekauft hatten, wurde die Abschussgenehmigung aufgehoben. Das Tier wurde mithilfe von Henning Wiesner eingefangen und nach "Gut Aiderbichl" in Deggendorf gebracht, wo sie seither ihr Gnadenbrot bekommt. Mitarbeiter berichten, Yvonne sei "auch heute noch sehr selbstbewusst". frie

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SZ vom 13.02.2017
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