Die Gäste kennen das Bild, es gehört schon fast dazu: Ständig läuft einer quer über den Hof. Mit einer Holzkiste Pfifferlinge, mit ein paar Getränkekästen auf einer Karre, mit einer Handvoll Zwiebeln. Der große Kühlraum der Kraillinger Brauerei befindet sich nämlich auf der einen Seite, die Küche gegenüber. Ein wenig unpraktisch, diese Herumtragerei, aber es geht. Wirt Sabri Konxheli und seine treuen Mitarbeiter haben sich daran gewöhnt, sie kennen es gar nicht mehr anders. Gut 30 Jahre ist es schon her, dass er zum ersten Mal als Gläsereinsammler dort gejobbt hat, seit 14 Jahren leitet der gelernte Hotelfachmann nun selbst den Laden. Und er bleibt auch weiterhin Wirt der Kraillinger Brauerei. Die Pachtverträge mit Eigentümern und Herrnbräu sind soeben verlängert worden. Große Veränderungen sind nicht vorgesehen.
Vor 110 Jahren hat Josef Kuttenberger die Brauerei gekauft und zu einer Gaststätte ausgebaut hat. Gerhard, Willibald und Markus Kuttenberger sind heute in Erbengemeinschaft die Eigentümer der Immobilie. Die neuen Verträge laufen bis Ende 2028, berichtet Konxheli. Demnach verpachtet die Familie Kuttenberger das Gelände weiterhin an Herrnbräu mit Sitz in Ingolstadt, die Brauerei wiederum setzt die Zusammenarbeit mit dem bewährten Wirt und seiner GmbH fort. Zuvor kursierten im Würmtal in den vergangenen Wochen und Monaten schon alle möglichen Theorien, was mit dem zentral gelegenen Areal geschehen würde. Bis hin zu Abriss und Neubebauung, was auch eine Schließung des Wochenmarktes auf dem Parkplatz zur Folge gehabt hätte. „Da hat es viel Verunsicherung gegeben“, sagt der Wirt rückblickend. Alles nur Gerüchte, die Vertragspartner brauchten eben nur Zeit.
An robusten Holztischen im Schatten stattlicher Kastanien ist Platz für etwa 1500 Gäste; damit ist der Biergarten mitten im Ort einer der größten in der Umgebung. Nur die Gaststätte in Forst Kasten mit 2000 Plätzen ist noch etwas größer.
Die Kraillinger Traditionsgaststätte befindet sich eigentlich direkt an der Würm, vom Wasser ist das Gelände aber durch Holzwände und die Kabinen des ehemaligen Bades abgetrennt. Der Vorteil für Eltern: Sie müssen nicht ständig ihre Kinder im Auge behalten, aus Sorge, sie könnten in den Fluss fallen. Es gibt einen separaten Bereich mit einem großen Spielplatz. Wie es Tradition in Bayern ist, dürfen Gäste ihre Brotzeit selbst mitbringen. Viele tun das auch, breiten eine bunte Tischdecke aus und packen Radi, Wurst und Käse aus.
Viele Besucher kommen regelmäßig, zu 90 Prozent seien es Stammgäste, meint der 48 Jahre alte Wirt sogar. Die Räume in der Gaststätte würden oft für Veranstaltungen gebucht, für Taufen, Hochzeiten oder Geburtstage beispielsweise, oft auch fürs Essen nach einer Beerdigung. Manchmal seien es bis zu fünf Trauerfeiern in einer Woche – einfach, weil es sonst kaum geeignete Räume für solche Anlässe gebe. Insgesamt 200 Plätze sind es drinnen. Während des Gesprächs im Freien werden gerade die Tische auf der Terrasse für eine Hochzeitsgesellschaft gedeckt, zwei Mitarbeiter drapieren kunstvoll gefaltete Servietten. 30 Gäste sind diesmal angekündigt, 75 für eine Trauung am nächsten Tag. Beim Mittagsmenü mit fixen Preisen kann Konxheli regelmäßig mit 80 Gästen rechnen. Es läuft also.
Stolz ist er auf seine Küche. Das Fleisch liefert ein Metzger aus Weßling, Gemüse und Salat kommen täglich aus der Großmarkthalle. Und: Es werde alles frisch zubereitet. „Wir richten hier alles selber her, sogar die Preiselbeeren. Die Brühe, die Soßen, alles. Jedes Schnitzel wird einzeln geklopft und paniert.“ Das sei sehr aufwendig und kostenintensiv, aber darauf legt er wert. Das Bodenständige eben. Das trifft auch auf den Stil der Gasträume zu: bodenständig, frisch und modern eher nicht.
Für seine Zunft ist der Pächter der Kraillinger Brauerei auffallend entspannt. Ob er im Rückblick von den Nackenschlägen in den Anfängen der Corona-Pandemie berichtet, ob es um die Unbilden des Wetters geht, mit denen jeder in der Freiluft-Gastronomie zu kämpfen hat, oder um den Sommer, der heuer bisher wieder nicht so optimal ausfällt: Der 48-Jährige scheint’s im Griff zu haben. Einen Ruhetag gibt es nicht, geschlossen ist nur für eine Woche nach den Weihnachtsfeiertagen: „Wir sind immer da“, sagt Konxheli und strahlt dabei wieder einmal übers ganze Gesicht. Und natürlich hilft auch der Chef selbst mit, wenn Not am Mann ist, bringt Essen raus und räumt auch mal ein paar Krüge weg, ganz wie früher.
Personalprobleme scheint er nicht zu kennen. Da hilft es schon einmal viel, dass auch seine beiden älteren Brüder Selatin und Ismajl bei ihm mitarbeiten und gelegentlich auch seine Ehefrau. Die ganze Familie hilft zusammen. „Damit kann man schon viel auffangen“, sagt Konxheli. Dazu kommt verlässliches Personal: 20 Mitarbeiter sind fest angestellt, dazu kommt ein halbes Dutzend Aushilfen für die Tage mit besonders großem Andrang. Auch Küchenchef Gerhard Groeneveld hält ihm schon seit vielen Jahren die Treue. „Für gute Mitarbeiter muss man auch etwas tun“, weiß Konxheli. Dazu gehört offenbar auch eine ordentliche Bezahlung, und zwar über dem Mindestlohn, denn: „Wie wollen Sie damit im Würmtal eine Familie ernähren?“
Aufgewachsen im Kosovo in der Nähe von Pristina ist er im Alter von 17 Jahren nach Deutschland gekommen. Nach Jobs und der Ausbildung im Münchner Hilton hatte er ein Lokal in Pasing. Nun ist der Familienvater schon lange Kraillinger und dort daheim: „Ich bin der integrierteste Mensch, den es gibt“, sagt er. Interessant, was er zum Thema Zuwanderung sagt: „Deutschland kann Migration.“ Eigentlich. Das habe man in den Siebzigerjahren gesehen. Da habe einiges besser funktioniert als jetzt.
Während der Fußballeuropameisterschaft stehen in einer Holzhütte im Schatten einer Kastanie zwei Bildschirme. Da verfolgen nicht nur Gäste die Spiele, auch die Mitarbeiter fiebern oft mit. Und an fast jedem Tag muss einer von ihnen besonders leiden. „Wir haben hier zehn Nationen in der Belegschaft“, erzählt Konxheli, „immer ist einer traurig“.