Glosse:Suche Sané, biete Paule

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Die Begeisterung für die Fußball-WM in Katar ist mäßig. Trotzdem gibt es Menschen, die noch Sammelbildchen des deutschen Teams horten: Hommage an eine gänzlich unterschätzte Tauschbörse.

Von Peter Haacke

Ach, Fußball. Also ernsthaft: Hat es jemals größeres Desinteresse an einer Weltmeisterschaft gegeben als am Gekicke in Katar? Die TV-Quoten sind niederschmetternd, die Begeisterung lahmt. Womöglich hat selbst die WM 1954 mehr Fans gehabt in Deutschland als dieses erkaufte Wüsten-Turnier. Die Fifa und die Scheichs, das große Geld und tote Bauarbeiter, die Regenbogen-Binden und die Mauscheleien: Hat das noch mit Sport, Spiel und Spannung zu tun?

Deutschland im winterkalten Herbst, Moral führt bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1:0 gegen Begeisterung. König Fußball, wer braucht dich noch? Dabei weiß doch jeder: Die Arbeit einer Krankenschwester, eines Pflegers oder einer Kassiererin ist tausendmal mehr wert ist als die Spielerei überbezahlter junger Männer, aber tausendmal schlechter bezahlt.

Auch bei Rewe, einer der offiziellen Sponsoren des Deutschen Fußball-Bundes, hat man den Zeitgeist erkannt: Rechtzeitig zum WM-Auftakt ist der Supermarkt-Konzern ausgestiegen. Dabei hätte doch alles so schön sein sollen: Ein Sammelalbum mit dem deutschen Nationalteam gibt es, fast besser als Panini-Bildchen. Für jeden Einkauf über zehn Euro gibt's an der Kasse ein Sammelbild - so war's jedenfalls geplant. Macht bei 35 Bildern also mindestens 350 Euro. Und am Ende gibt es die "Goldene Fankarte". Halleluja!

Doch die Boykott-Welle überschattet längst auch die deutsche Sammellust. An der Rewe-Kasse in Starnberg ist der WM-Zuspruch entsprechend verhalten. Da stapelt sich das "Offizielle DFB-Sammelalbum 2022". Unbedarft fragt man also die Kassiererin: "Kann ich eines davon haben?" Die ist etwas unsicher, aber die Kollegin weiß Bescheid: "Jaja, die sind umsonst." Ein Glück! Die Deutschen spielen ja so schlecht, da ist doch wenigstens das eine schöne Erinnerung. Auch wenn der bislang einzige Held mit Zahnlücke im DFB-Dress, der nachnominierte Niclas Füllkrug, es nicht mehr rechtzeitig in die Heldensammlung geschafft hat.

Statt Qualität gibt's dann eben Quantität. Die Damen lachen herzlich, dann läuten sie die nächsthöhere Spendenphase ein. "Gib' ihm noch einen Packen Bilder mit", sagt die ältere Kollegin, "die will sowieso niemand." Die Jüngere greift in einen Karton - und überreicht 40 Tütchen. Regulär hätte der mittagspausierende Kunde mit der Leberkässemmel und dem Müsliriegel dafür mindestens einen Einkauf von 400 Euro tätigen müssen.

Die zur Ramschware degradierten Papierkicker entpuppen sich schnell als wertvolle Quelle stammtischtauglichen Fachwissens: Torwart Manuel Neuer läuft 27 Stundenkilometer schnell, Jamal Musiala wiegt 70 Kilogramm, Trainer Hansi Flick hat am 24. Februar Geburtstag und Paule, der "fußballverrückte Adler", ist schon das fünfte Mal deutsches WM-Maskottchen. Gut zu wissen.

Doch jetzt zur eigentlichen Sache - aber das bleibt bitte unter uns: Hat vielleicht einer Jonathan Tha doppelt, Leroy Sané oder Ridle Baku? Biete drei Müllers, einen Bierhoff in Glitzerversion, zwei Schlotterbecks, einen Adeyemi und einen Paule. Zur sportkulturellen Vollendung fliegt der auch ganz umsonst ins Album des willigen Tauschpartners - Leberkässemmel-Ehrenwort.

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