Fünfseen-Filmfestival:Stolz auf einen Kriminellen

Fünfseen-Filmfestival: Produzent Ivan Madeo und Regisseur Oliver Rihs (von rechts) geben der Moderatorin Anja Schmid Auskunft zu "Bis wir tot sind oder frei".

Produzent Ivan Madeo und Regisseur Oliver Rihs (von rechts) geben der Moderatorin Anja Schmid Auskunft zu "Bis wir tot sind oder frei".

(Foto: Arlet Ulfers)

"Bis wir tot sind oder frei" aus der Ostschweiz erweist sich beim Festival als Volltreffer

Von Armin Greune, Starnberg

Das Kino der deutschsprachigen Schweiz spielt international allenfalls eine kleine Nebenrolle. Während österreichische Nachbarn wie Michael Haneke, Wolfgang Murnberger und David Schalko zumindest in Deutschland Publikum und Kritik erobern, ist das ostschweizerische Filmschaffen außerhalb der eidgenössischen Grenzen weitgehend unbeachtet geblieben. Das Fünfseen-Filmfestival aber bietet nun mit sieben Streifen eine gute Gelegenheit, die gegenwärtige Schweizer Kinoszene näher kennenzulernen.

Schon das erste gezeigte Werk erweist sich als Volltreffer: "Bis wir tot sind oder frei" beruht auf der wahren Geschichte von Walter Stürm, der als Autodieb und Bankräuber, Ein- und Ausbrecher in den Siebziger- und Achtzigerjahren enorme Popularität genoss. Er sei der "bekannteste Kriminelle, auf den die Schweiz sehr stolz ist", sagte Regisseur Oliver Rihs am Donnerstagabend in Starnberg: Acht Mal gelang es dem Verbrecher, aus der Haft zu entkommen. Obwohl der Industriellensohn Stürm keinerlei politisches Interesse erkennen ließ, wurde er für die Schweizer Linke zur Galionsfigur; vielleicht weil die dortige Szene "neidisch auf Deutschland und die RAF schaute", mutmaßt Rihs.

Der ebenfalls anwesende Hauptproduzent Ivan Madeo habe zuerst die Geschichte aufgegriffen. Es gelang, die Rechte an Stürms Biografie zu erhalten, was viele andere zuvor erfolglos versucht hatten, erzählt Rihs. "Aber nur ein Biopic über ihn war mir nicht genug." Bei der Recherche über den Berufskriminellen geriet immer mehr seine Verteidigerin Barbara Hug in den Fokus. Zwischen ihr, die sich in einem linken Anwaltskollektiv in der damals laut Rihs "sehr rechts ausgerichteten Schweiz" profilierte, und ihrem Mandanten entwickelt sich im Film eine Liebesbeziehung. Obendrein will der Regisseur mit "Bis wir tot sind oder frei" über den ambivalenten Begriff der Freiheit philosophieren.

Der Film beginnt mit einer rasant in Szene gesetzten Straßenschlacht, die den Zuschauer sofort in den Bann schlägt. "Züri brännt", als die autonome Jugendbewegung 1980 auf die erstarrten Autoritäten im Land prallt. Das Leinwandgeschehen wirkt auch deshalb so authentisch, weil die Komparsen tatsächlich aus der autonomen Szene rekrutiert sind und mit sichtlichem Vergnügen Autos demolieren und Schaufenster einwerfen. Ursprünglich habe man auch "für die Hauptrollen totale No Names gesucht", sagt Rihs. Doch nach zig Castings, die sich über mehr als ein Jahr hinzogen, gelang es nur zwei in der Schweiz längst etablierten Schauspielern zu überzeugen. Joel Basman sei dort der bekannteste Darsteller seiner Altersklasse. Er verleiht Stürms schillernder Figur zwischen nonchalantem Charme und tiefer Verzweiflung geradezu plastische Tiefe. Diese großartige schauspielerische Leistung wird freilich von Marie Leuenberger noch übertroffen, die wunderbar nuanciert Hugs kämpferische Wut und Zerbrechlichkeit wiedergibt. Es sei "enorm, was sie da geleistet hat", meint Rihs und findet damit in Starnberg lautstarke Zustimmung. Basman wiederum habe Hug zufällig als Nachbarin gekannt und konnte die Kollegin für Details instruieren.

Es ist aber nicht nur den herausragenden Hauptakteuren zu verdanken, dass "Bis wir tot sind oder frei" beim Zuschauer nachhaltig Eindruck hinterlässt. Rihs, Madeo zufolge bislang vor allem im Komödienfach tätig, setzt den Vorsatz, dem dramatischen Gewicht der Geschichte eine gewisse humoristische Leichtigkeit entgegenzusetzen, recht gekonnt um. Auch Felix von Muralts Kameraarbeit verdient Beachtung. Da scheint Rihs' Anspruch nicht vermessen, dass sein Werk "nicht nur ein Schweizer Filmchen wird, sondern universell verständlich". Internationale Anerkennung hat er schon erhalten: Der Film lief laut Regisseur bereits in Moskau und Peking, in Tallinn wurde Leuenberger als beste Schauspielerin beim Black Nights Film Festival geehrt. Ob es beim FSFF für den Best of Festival-Preis reicht, muss das Publikumsvotum zeigen.

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