Süddeutsche Zeitung

Fünfseen-Filmfestival:Stöckeln und strahlen

Die Schauspielerin Nina Hoss wird mit dem Hannelore-Elsner-Schauspielpreis geehrt. Für die Veranstaltung im Seebad hat sie eindeutig die falschen Schuhe an, dennoch strahlt die 45-Jährige unverdrossen in die Kamera

Von Gerhard Summer, Starnberg

Martina Gedeck kam 2012 mit perforierten roten Handschuhen an, Wim Wenders trug 2014 einen mächtigen schwarzen Ledermantel spazieren. Und Nina Hoss? Sie stöckelt über den Rasen, sie hat offenbar mit festerem Boden gerechnet. Als endlich das Holzboot mit ihr an der Halbinsel im Seebad anlegt, als zwei Kamerateams und zehn Fotografen Aufnahmen, Interviews und Abertausende von Bildern von ihr gemacht haben und die per Video eingespielte Laudatio von Lars Eidinger zu Ende ist, steht sie auf der Bühne, sagt erstmal Puh und atmet tief aus: "Ich hab eindeutig die falschen Schuhe an."

Samstagabend, ein Star tritt auf: In Venedig landen Diven mit privaten Taxibooten an, beim Fünfseen-Festival dient erstmals die mit blauem Baldachin bestückte Zille "Marie" zur Überfahrt von einem Steg hinterm Undosa zum Festgelände. 21 Minuten dauert die Passage mit dem Boot, das sonst Besucher auf die Roseninsel bringt. Und wie Festivalchef Matthias Helwig hinterher sagt, habe er in der Zeit vielleicht eine halbe Minute mit Hoss reden können. Denn die mitfahrenden Fotografen wollen immer noch ein Bild von ihr und Dominik Elstner machen, dem Sohn der Schauspielerin Hannelore Elsner, der das "t" in seinem Namen behalten hat. Kurz bevor der Fährmann an Land festmacht, muss er das Boot noch drehen, der Perspektive wegen. Drinnen zucken Blitzlichter, als gäbe es an Bord ein Miniaturgewitter.

Dass sich so viele Kameras auf Hoss richten, die mit "Yella" und "Die weiße Massai" bekannt geworden ist und an diesem Abend den Hannelore-Elsner-Schauspielpreis erhält, hat schon seine Gründe. Zum einen ist die 45-Jährige aus Stuttgart "für mich im Moment die beste Schauspielerin in ihrer Klasse", wie Helwig sagt. Zum anderen stürzen sich die Fotografen auf sie und später auch auf ihren Mann, den Musikproduzenten Alex Silva, weil solche Termine rar geworden sind. Nur ganz wenige Filmfestivals trotzen der Corona-Krise: Venedig eben, Locarno und auch Starnberg. Die Open-Airs am Starnberger See haben ohnehin einen Hauch von Lido-Atmosphäre, wenn auch mit Blick auf die Zugspitze.

Allerdings muss das Publikum einigermaßen wetterfest sein: Kurz nach den ersten Eröffnungsworten setzt Regen ein, an die 350 Besucher hocken prompt mit Schirmen und in Capes da. Doch der Schauer hört so schnell auf, wie er einsetzte. Dominik Elstner hat so etwas wie eine Erklärung dafür: Seine Mutter schaue sicherlich von einer Wolke aus zu und freue sich. Von der Ausnahme-Schauspielerin, die im April 2019 starb und dreimal das Fünfseen-Fest besucht hatte, ist viel die Rede bei dieser Preisverleihung, dem am aufwendigsten inszenierten Höhepunkt der 15-tägigen "Special Edition". Helwig erzählt, wie er ihr zum ersten Mal begegnete, als Regisseur Hans Steinbichler den Bayerischen Filmpreis bekam. Wie er sich erst nicht traute, Elsner anzusprechen, und sich dann dachte: "Ich sage möglichst schnell, dass es toll wäre, wenn sie zum Festival käme".

Dominik Elstner berichtet, dass sich seine Mutter "total wohlgefühlt" habe als Ehrengast auf dem Filmfest 2011, er spricht von einer "tiefen Freundschaft" zwischen ihr und Helwig. Und Nina Hoss erinnert sich daran, wie Elsner ihr bei den Dreharbeiten zu "Das Mädchen Rosemarie" zur Seite stand. Sie sei damals gerade 20 geworden, "ich hatte von nichts eine Ahnung". Elsner sei ihr als hilfsbereite Kollegin begegnet, "das gibt's nicht immer". Das "Wechselspiel von Stärke und Schwäche", das Eidinger in seiner Lobrede herausstellt, habe auch Elsner ausgezeichnet. Denn diese Schauspielerin "wollte sich nie einengen lassen", sei immer neugierig geblieben und habe sich zugleich nicht davor gescheut, Verletzlichkeit zu zeigen.

Eidinger selbst formuliert es so: Nina Hoss habe den Mut, sich angreifbar zu machen, in der "Schwäche bist du unendlich stark". Er erzählt in seiner Laudation, die vor gut einer Woche bei seinem Auftritt in Starnberg aufgenommen worden ist, auch eine Anekdote: wie sich er und Hoss, die sich seit 25 Jahren kennen und beide die Berliner Hochschule für Schauspielkunst absolvierten, ihre Rollen vorspielten, mit denen sie sich fürs Studium beworben hatten. Sie gab den Monolog der gescheiterten Schauspielerin Nina in Anton Tschechows "Möwe". Und er habe sich gedacht: "Ich werde niemals so was spielen können." Denn Attribute wie "starke Frau" unterlaufe Hoss komplett, sie zeige, dass es darum gehe, Schwäche zu zeigen.

Nina Hoss sagt ein paar Dinge ins Mikro, die bei einer Preisverleihung wohl gesagt werden müssen: Es sei "großartig, hier zu sein", meint sie, und gemeinsam Kino zu erleben, der Austausch fehle ihr nach der fast kulturlosen Zeit schon sehr. Zugleich tritt sie als eine Frau auf, die nicht abgehoben ist. Mal schweift sie ab und sagt: "Ich hab' hier überall Mücken". Mal erwähnt sie, welches Gewicht die von Dominik Elstner übergebene Preis hat: "Der is' aber ganz schön schwer". Und als sie nach der Filmvorführung wieder auf der Bühne steht und ihre unpraktischen Schuhe gegen Lederstiefel getauscht hat, beantwortet sie klar, präzise und gar nicht kapriziös alle Fragen zu Schauspielkunst.

Mit dem aufwühlenden Drama der Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond bleibt Helwig seiner Linie treu: um Himmelswillen keine leichten Stoffe. So war es schon bei der ersten Verleihung des nur mit 5000 Euro dotierten Preises an Barbara Auer. Damals lief das Aids-Drama "Vakuum". Nun also "Schwesterlein" mit der Traumbesetzung Hoss, Eidinger, Thomas Ostermeier und Marthe Keller. Der Film handelt von der symbiotischen Beziehung von Zwillingen, einer Krebserkrankung und davon, dass Künstler zugrunde gehen, wenn sie nicht mehr schreiben oder auf der Bühne gehen können. Danach gibt es Bravo-Rufe und Applaus. Und zum Ende des Abspanns setzt ein Feuerwerk ein auf Höhe des Undosa.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2020
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