Fünfseen-Filmfestival:Gegen das Vergessen

Fünfseen-Filmfestival: Nina (Marina Koshkina) würde gern umziehen, doch ihr Mann Jurij (Vasilij Kuharskij) will in der russisch besetzten Stadt Luhansk bleiben.

Nina (Marina Koshkina) würde gern umziehen, doch ihr Mann Jurij (Vasilij Kuharskij) will in der russisch besetzten Stadt Luhansk bleiben.

(Foto: Verleih/FSFF)

Daria Onyshchenkos Politdrama "The Forgotten" feiert in Starnberg Deutschlandpremiere. Es zeigt das Leben in besetzten Gebieten der Ost-Ukraine

Von Carolin Echterbeck, Starnberg

Es ist Winter. Eine hautfarbene Wachsskulptur einer nackten Frau steht starr im tiefen Schnee. Die Ruhe der Szene wird durch einen lauten Schuss in ihre Brust durchbrochen. Es folgen weitere Schüsse und weitere Skulpturen, die wie eine Armee verteilt stehen. Der Schütze: Eine Frau in Militäranzug.

Diese Szene leitet Daria Onyshchenkos Film "The Forgotten" am Dienstagabend im Kino Starnberg ein. Das Politdrama wird im Anschluss an den Empfang der Ukraine gezeigt und beschäftigt sich mit der Bevölkerung in Gebieten der Ost-Ukraine, die von prorussischen Separatisten kontrolliert werden. Der russisch-ukrainische Konflikt über die Abspaltung von Donezk, Luhansk und der Halbinsel Krim existiert seit 2014, wird aber im Westen wenig thematisiert. In Onyshchenkos Gesprächen mit Geflüchteten fiel immer wieder der Satz "Wir fühlen uns vergessen." Das will sie mit ihrem Film ändern.

Nina ist eine Ukrainischlehrerin, die mit ihrem Mann Jurij in der russisch besetzen Stadt Luhansk lebt. Während Jurij in der Gesellschaft integriert ist, eckt Nina an, weil sie den Oligarchen Tums ablehnt. Sie würde gern zurück in das Gebiet der ukrainischen Regierung, doch Jurij (dargestellt von Vasilij Kuharskij) will bleiben.

In der Schule trifft Nina auf den 17-jährigen Andrej, der als Zeichen des Widerstands eine ukrainische Flagge auf dem Schulgebäude hisst. Sie hilft ihm, sich vor dem Militär zu verstecken. Während des Films entfernt sich Nina mehr und mehr von ihrem Mann und nähert sich Andrej an. Der Schüler sei wie "frische Luft" für sie in der erstickenden Unterdrückung der russischen Besetzung, sagt Onyshchenko in der Nachbesprechung mit Festivalleiter Matthias Helwig.

Der Film ist ein voller Erfolg beim Publikum. Viele Zuschauer fragen die Regisseurin zu Symbolen, Drehorten oder Schauspielern. Ursprünglich sollte der Film in den achtziger Jahren spielen. Angesichts der Ereignisse, beschloss Onyshchenko allerdings den Plot in die Gegenwart zu verlegen. Wegen des zu hohen Risikos in Luhansk, drehten sie in Kiew und Umgebung sowie in unbesetzten Teilen des Ostens. Die Schauspieler habe sie in einem "langen Prozess" ausgewählt, erklärt die Filmemacherin. Ninas Darstellerin Marina Koshkina stammt aus Luhansk und konnte sich leicht mit ihrer Rolle identifizieren. Andrejs Schauspieler Daniil Kamenskij kommt aus Kiew. Ihm fiel die Rolle anfangs schwer. Die beiden Städte sind zwar im selben Land, in Kiew spürt die Bevölkerung laut Onyshchenko aber nicht viel von den Missständen.

Onyshchenko ist selbst in Kiew geboren und lebt seit zehn Jahren in München, wo sie an der Hochschule für Film und Fernsehen studiert hat. In München hat sie die Künstlerin Maria Kulikovska kennengelernt, die die Skulpturen der Anfangsszene gebildet hat. Ihre Skulpturen wurden 2014 während einer Ausstellung in Donezk zerstört. Seitdem gilt sie in der Ukraine als verbotene Künstlerin und ist nach Deutschland geflüchtet. Die Skulpturen ziehen sich durch den Film als Symbol für Freiheit, Glaube und Hoffnung.

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