Süddeutsche Zeitung

Fünfseen-Filmfestival:Wie Ballons, die zum Himmel schweben

Lesezeit: 3 min

Bei der Eröffnung schwelgt Spielleiter Matthias Helwig in Poesie. 150 Streifen aus 41 Ländern sind in den nächsten Tagen zu sehen. In diesem Jahr steigen die Starquote und der Frauenanteil.

Von Gerhard Summer, Starnberg

So eine schlichte Zahl kann was Schönes sein. Die festlich gekleidete Moderatorin Marieke Oeffinger erzählt gerade, auf was sich das Publikum des Fünfseen-Filmfestivals in den nächsten neun Tagen freuen darf: auf 150 Dokus, Spiel- und Kurzfilme aus 41 Ländern, viele davon werden hinterher nicht wieder im Kino zu sehen sein. Und dann kommt es: Ein Drittel dieser Produktionen, sagt Oeffinger bei der Eröffnung am Mittwoch mit einem leichten Anflug von Triumph in der Stimme, "sind von Regisseurinnen". Wie die Besucher in der Schlossberghalle Starnberg reagieren? Einige johlen, der Rest lässt den Beifall so heftig rauschen, als habe Oeffinger gerade das Gegenteil erklärt: 67 Prozent Frauen, 33 Prozent Männer.

Klar, der kleine Applaussturm geht schon in Ordnung, so schlecht ist die Drittelquote nicht. Das Filmfestival Venedig zum Beispiel steht deutlich schlechter da. Gerade im Wettbewerb um den Goldenen Löwen sieht es düster aus: Unter den 21 Filmen sind heuer gerade mal zwei von Frauen. Und das DOK Leipzig hat zwar eine Frauenquote eingeführt, aber die liegt mit 40 Prozent auch nicht um Welten höher als in Starnberg. Wobei man vielleicht wissen muss: Zum einen ist die Starnberger Festivalleitung nur durch die Anfrage von Journalisten darauf gekommen, die Filme heuer gendermäßig durchzuackern. Und zum anderen ist die Drittelquote Zufall. Das Team um Festivalchef Matthias Helwig wählt die Filme nämlich vor allem unter dem Aspekt aus, ob sie etwas taugen.

Sind die leicht geschrumpften Kinotage in Starnberg, Gauting, Seefeld und Weßling also unglaublich zeitgemäß geworden, oder geht alles seinen gewohnten Gang? Ja und nein. Das Programm wirkt erwachsener und glanzvoller, der neue Trailer macht Schluss mit der Clip-Biederkeit, dafür ist der Eröffnungsfilm "Zwischen uns die Mauer" von Norbert Lechner hausbacken und stark aufs Fernsehformat zugeschnitten. Der Auftakt selbst, der sich in den Vorjahren schon mal hinziehen konnte, ist vergleichsweise locker: Es gibt Ausschnitte aus "Balance"; der mit dem Oscar prämierte Puppentrickfilm von Christoph und Wolfgang Lauenstein wird in der Abteilung Video-Art laufen. Die Starquote ist ein wenig höher als zuletzt, auch wenn einige berühmte Regisseure erst zu- und wieder abgesagt haben. Aber immerhin ist Oscar-Preisträgerin Caroline Link im Publikum, die Helwig dann aber merkwürdigerweise nicht auf die Bühne holt. Bürgermeisterin Eva John lässt sich beim wichtigsten Kulturereignis in ihrer Stadt wieder vertreten. Und der Altersdurchschnitt der etwa 500 Besucher liegt wie immer bei 60 plus, viele haben sich in Schale geworfen, ein paar junge Frauen schweben in kühn geschlitzten Kleidern über den blauen Teppich, einige Männer bevorzugen Räuberzivil.

Helwig hatte bei den Premieren 2017 und 2018 über ernste Themen gesprochen: über Selbstzensur und die digitale Konkurrenz. Diesmal erzählt er nur eine Geschichte, zu der ihn der chinesische Film "Qiqiu" (übersetzt: Ballon) inspiriert hat. Sie handelt von einem Vater, der seinen Kindern zwei Ballons mitbringen soll, und erst mal in einem Restaurant landet, das ein Spiegel der Gesellschaft ist. Ältere Künstler debattieren darüber, wie sie die Jugend erreichen können, gegenüber schmachtet sich ein junges Pärchen samt Aufpasser an. Am nächsten Tisch beschweren sich Touristen, dass sie beim Flug über die Berge keinen Schnee mehr gesehen haben und Straßen und Siedlungen überhandnehmen. Und an der Wand hängt eine Zeitung, in der steht, wie Millionäre ihr Geld gut in Panama anlegen können. Am Ende kauft der zerstreute Vater tatsächlich die Ballons. Doch als sich die Kinder darum streiten, passiert ein Malheur: Die Ballons steigen in den Himmel auf, und alle schauen hin, stellt sich Helwig vor - die Künstler, die Jungen, die Touristen. Genau das wünsche er sich für die kommenden Tage: dass die Festivalbesucher "diese Poesie erleben".

An dem Abend in der nüchternen Halle brandet noch an vielen anderen Stellen Applaus auf. Etwa als Helwig erklärt: "Gute Bilder müssen ins Kino, in den Raum, der fürs Sehen geschaffen ist." Und als Karl Roth, der die Kinotage laut Helwig von Anfang an unterstützt und nun seinen letzten Festivalauftritt als Starnberger Landrat hat, sich zu dem Statement hinreißen lässt: "Vielleicht kann man noch mal ne Schippe drauflegen." Er meint damit wohl: die Förderung fürs Festival erhöhen.

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SZ vom 06.09.2019
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