Süddeutsche Zeitung

Fünfseen-Filmfestival 2019:Sehnsucht nach Berührung

Schon die erste Staffel der langen Kurzfilme bringt die Begegnung mit starken Geschichten

Von Blanche Mamer, Gauting

Eine gut aussehende Türkin von etwa Mitte 30 steht am Fenster und beobachtet ein sich zärtlich umarmendes Paar. Sie hat viel Sehnsucht im Blick, das besagt auch der Titel "And me" von Yaren Zarah Berg, mit dem der Reigen der langen Kurzfilme am Donnerstagabend in Gauting startete. Die Short-Plus-Filme, lange Kurzfilme oder mittellange Filme zwischen 20 und 60 Minuten, sind seit 2011 fester Bestandteil im Programm des Fünfseen-Festivals von Matthias Helwig.

Der Wettbewerb ist bei Regisseuren aus dem In- und Ausland sehr beliebt. Aus den vielen Einsendungen haben 13 den Weg ins Finale gefunden; sie sind in vier Vorstellungen aufgeteilt. Der Verein Weitwinkel richtet den Short-Plus-Award aus, die Zuschauer sind die Jury.

Schon in der ersten Staffel gibt es starke Filme. In "And me" wird die Situation der verheirateten Frau thematisiert, die in einer lieblosen Ehe lebt. Nach einem schweren Autounfall ihres Mannes schaltet sie sein Handy an und entdeckt Fotos und Videos, die ihn mit einer Geliebten zeigen, die ebenfalls bei der Kollision verletzt wurde. Ein obdachloser syrischer Flüchtling ist freundlich zu ihr, sie nimmt ihn mit nach Hause. Durch die kargen Dialoge (türkisch mit Untertiteln) bekommen die Bilder Klarheit und Eindringlichkeit.

Der zweite Beitrag, "Der dritte König" von Christoph Oliver Strunck, besticht durch strukturierte Kälte. Um die Weihnachtszeit im eisigen Winter 1944 findet der versprengte GI Jamar im tief verschneiten Wald eine bewohnte Jagdhütte. Maria und ihr Sohn Peter warten hier auf den Vater, der als Soldat irgendwo an der Front im Schützengraben liegt. Der kleine Peter nähert sich dem riesigen schwarzen GI voller Zutrauen und zeigt ihm die vom Vater geschnitzte Figur von Caspar. Später findet Jamar den Schützengraben und den schwer verletzten Vater, der eine geschnitzte Königsfigur in der Faust hält. Das rettet ihm das Leben.

Der persönlichste und eindruckvollste Film des Abends ist "Was bleibt/Touch me" von Eileen Byrne. Ihr 21-minütiges Werk erzählt von der jungen Alice, die Brustkrebs hat und nicht nur mit der Krankheit, der Angst und den seelischen Folgen kämpft, sondern auch mit ihrem Liebesleben zurechtkommen muss. Moritz, ihr Lebensgefährte, ist genauso überfordert wie sie selbst. "Eine meiner engsten Freundinnen hatte Brustkrebs, ich habe die Situation aus nächster Nähe erlebt", sagt die deutsch-schottische Regisseurin aus Luxemburg. Der Aspekt der gefährdeten Partnerschaft bei jungen Frauen werde viel zu selten und zu wenig berücksichtigt. "Ich werde nicht nur die Haare verlieren, auch die Augenbrauen und die Wimpern und die Fingernägel. Möglich, dass mir auch die zweite Brust amputiert wird, auch die Eierstöcke, und dass ich nie Kinder bekommen kann", sagt Alice, ganz wunderbar dargestellt von Kristin Suckow, zu ihrem verunsicherten Freund, gespielt von Max Bretschneider.

42,5

Die Zahl des Tages zum Fünfseen-Filmfestival: Die größte Leinwand der Kinotage ist in der Schlossberghalle Starnberg aufgespannt. Sie hat 42,5 Quadratmeter Fläche, so viel wie ein geräumiges Appartement. Die sogenannte Aufprojektionsfläche eines deutschen Herstellers ist aus PVC gefertigt und perforiert, damit die Schallwellen der dahinter stehenden Lautsprecher möglichst unbeeinflusst zum Publikum durchdringen können. Wegen der winzigen Löcher muss es hinter der gemieteten Leinwand dunkel sein, sonst würde durchflackerndes Licht die Projektion stören. sum

Der vierte Film "Wenn du rausgehst" von Nuria Gómez-Garrido handelt von einem aktuellen Thema, dem Umgang von Jugendlichen mit Handyfotos. Die Schülerin Jana möchte ihren Freund Leo zurückgewinnen und schickt ihm ein Foto von ihrer nackten Brust. Er zeigt es in der Clique herum; nun wird Jana von ihren vermeintlich besten Freundinnen gemobbt. Sie habe eine wahre Geschichte nachrecherchiert, sich aber gegen eine Doku entschieden, sagt die Regisseurin. Und ja, Mädels seien fieser als Jungs.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2019
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