Fünf-Seen-Filmfestival:Normal ist das Besondere

100 Filme in neun Tagen an sechs Spielorten: Matthias Helwig zeigt beim Fünf-Seen-Filmfestival Filme, von denen viele in Deutschland noch nicht zu sehen waren.

Sabine Reithmaier

Eine der furchtbarsten Situationen im Leben des Matthias Helwig spielt in der Zeit, als er als Kamera-Assistent arbeitete und ein Konzert mit Daniel Barenboim filmte. Der Maestro sitzt am Klavier, Helwig umkreist ihn mit der Kamera. Der noch ziemlich junge Assistent hat sich lässig einen Mantel über die Schultern gehängt, das blöde Teil fängt an zu rutschen. Den Rest kann man sich denken.

Breitwand-Chef Matthias Helwig

Schaut bis zu 400 Filme im Jahr: Matthias Helwig, Chef der Programmkinos Breitwand und Organisator des Fünf-Seen-Filmfestivals.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Regisseur Jean-Pierre Ponnelle und Kameramann Xaver Schwarzenberger waren jedenfalls mit ihrer Nachwuchskraft nur bedingt zufrieden. "Wie ich da anschließend allein durch Wien gelaufen bin, dachte ich, es ist alles aus."

Matthias Helwig, vielfach ausgezeichneter Chef der drei Programmkinos Breitwand und Organisator des Fünf-Seen-Filmfestivals, schaudert es noch heute, wenn er daran denkt. Schwierige Zeiten damals. Gerade mal drei Filme gedreht, kein Geld in der Tasche, und sein Studium an der Filmhochschule München beeindruckte niemanden.

Auch nicht den Kinobesitzer in Gilching, den er vergeblich von den Qualitäten seines Abschlussfilms zu überzeugen suchte. Aber man brauchte einen Filmvorführer, und dafür schien Helwig der geeignete Mann zu sein. Der akzeptierte, schließlich hatte er in dem Haus als Bub seinen allerersten Film, Disneys "Dschungelbuch", gesehen.

Als der Chef plötzlich starb, beschloss er, das Kino zu übernehmen. Der Gedanke an seine Unbekümmertheit erheitert Helwig noch heute. "Ich war 26, trug Birkenstocksandalen und hatte von Betriebswirtschaft keine Ahnung." Er unterschrieb den Pacht- und Ablösevertrag und ging erst anschließend auf die Bank, um zu erkunden, wie er das eigentlich finanzieren sollte.

Programmkino in der Provinz

Was er dagegen genau wusste, war, wie sein Kino auszusehen hatte: "Mein Vorbild war das Cinema in München." Programmkino in der Provinz, ein schwieriges Unterfangen. Helwig ignorierte Spötter und Zweifler und begann mit einem Film pro Woche, zwei Vorstellungen.

Dann kam der Kinderfilm dazu, eine Spätvorstellung um 22 Uhr, ein zweiter Kinderfilm, dann der "Besondere Film" am Dienstag und schon 1987 die erste Auszeichnung des Bundesinnenministeriums. 1997 wurde das "Breitwand" zum besten Kino in Deutschland gekürt.

1998 war Schluss. Renovierungsarbeiten und eine Mieterhöhung zwangen den Betreiber zuzumachen. Aber da war Helwig schon kein Unbekannter mehr, es gab mehrere Angebote. Er eröffnete Programmkinos in Schloss Seefeld und Herrsching. 2002 kam als dritter Breitwand-Standort Starnberg dazu.

Auf der Suche nach neuen Aufgaben begann er, Open-Airs zu organisieren. Regelmäßig stand er unter Regenschirmen und am Rande der Pleite. Andererseits boten die Freiluftveranstaltungen wieder Stoff für Szenen, die absolut filmreif klingen.

In Gilching beispielsweise brachte ein Sturm die Konstruktion mit der Open-Air-Leinwand fast zum Einsturz. Also kletterte er hinauf, klemmte sich als lebende Stütze zwischen Leinwand und Kino. Seine Füße fest um die Konstruktion gewunden, sah er sein Leben an sich vorbeilaufen "wie in einem Film." Irgendwann kam ihm ein Freund mit einem Seil zu Hilfe.

Die Festivals verliefen bisher vergleichsweise ruhig. Beim ersten Mal, 2007, zeigte er 56 Filme, Regisseur Tom Tykwer kam als Stargast. Heuer werden es knapp einhundert Filme sein, die vom 27. Juli an auf acht Leinwänden an sechs Spielorten in Herrsching, Starnberg, Seefeld und am Wörthsee laufen. Viele davon waren in Deutschland bisher nicht zu sehen, "sie haben keinen Verleih gefunden".

Die Retrospektive - im Vorjahr galt sie Volker Schlöndorff - ist Armin Mueller-Stahl gewidmet, der am 4. August auch Gast sein wird. Auch sechs Wettbewerbe gehören zum Festival. Neue deutsche, österreichische und Schweizer Filme konkurrieren um den mit 5000 Euro dotierten Fünf-Seen-Filmpreis.

Filmleidenschaft ungebrochen

Und welcher ist Helwigs Lieblingsfilm? Er zögert. Vielleicht "How I ended this summer", ein russischer Film über zwei Männer, die auf einer kleinen Wetterstation in der Arktis Messungen machen. Oder "Bal", die Geschichte um einen kleinen Jungen und seinen Bienen züchtenden Vater, der den Goldenen Bären der Berlinale gewann. Oder doch lieber "Mademoiselle Chambon". Bei dem französischen Film über eine unmögliche Liebe brauche man unbedingt ein Taschentuch.

Inzwischen ist Helwig 50 Jahre alt, hat mehr als einhundert Preise und Auszeichnungen erhalten und gelernt, wie man perfekt netzwerkt und Sponsoren ins Boot holt. Seine Filmleidenschaft ist ungebrochen, schon allein weil er den intensiven Genuss nicht missen möchte, den Kino seiner Ansicht nach bietet.

Zwei Stunden in einem abgeschlossenen Raum sitzen, völlig ungestört ohne weitere Ablenkung - das habe, findet er, etwas fast Anachronistisches. Ganz anders als beim Fernsehen, wo man von einem Film zum nächsten zappt und vielleicht noch die Nachrichten dazwischen schaltet. "Aus einem guten Film gehe ich raus und sehe die Welt anders." Wenigstens eine Nacht lang.

400 Filme schaut er sich jedes Jahr an. Wer so viel gesehen hat, könnte doch wieder auch eigene Filme drehen. Helwig schaut skeptisch. Gelegentlich liebäugle er schon damit, sagt er dann. "Aber nur im Urlaub." Ansonsten fehle ihm die Ruhe. Lieber engagiere er sich einstweilen für Filme, die ihm wichtig sind. "Und wenn ich nicht glauben würde, dass sich die Menschen dadurch anregen ließen, würde ich es nicht machen."

Das Fünf-Seen-Filmfestival läuft von 27. Juli bis 4. August; Informationen unter www.fsff.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: