Schaut man sich den Deutschen Bundestag an, fällt schnell auf, dass Frauen Mangelware sind, sie machen nur etwas mehr als 30 Prozent der Abgeordneten aus. Das ist sogar ein Rückgang der Frauenquote im Vergleich zum vorherigen Bundestag. Ähnlich sieht es auch auf kommunaler Ebene aus: Der deutsche Städte- und Gemeindetag schätzt den Anteil der Bürgermeisterinnen bundesweit auf 13,5 Prozent. 2020 gab es sogar mehr Bürgermeister, die Thomas heißen, als Bürgermeisterinnen. Auch im Landkreis Starnberg ist die Quote rückläufig: Während vor der Kommunalwahl 2022 noch sechs von 14 Rathauschefs weiblich waren, sind es heute nur noch zwei. Damit liegt Starnberg trotzdem noch etwas über dem bayerischen Landesdurchschnitt von 8,3 Prozent Bürgermeisterinnen.
Der Starnberger Verein Frauen in die Politik (kurz Fidip) will das ändern, denn, wie es Professor Giulia Menillo von der Akademie für politische Bildung in Tutzing formuliert: „Es braucht Frauen, um die Interessen der Frauen zu vertreten. Über den männlichen Vormund kann das nie ganz funktionieren.“ An drei Tagen haben sich darum in der vergangenen Woche politisch interessierte Frauen zum Thema „In die Sichtbarkeit treten“ in Tutzing ausgetauscht und fortgebildet.
So auch Professorin Menillo. Am Mittwochmittag steht sie hinter dem Rednerpult im großen, sonnendurchfluteten Tagungssaal der Akademie für politische Bildung und blickt mit breitem Lächeln in ihr Publikum der rund 50 Teilnehmerinnen. Sie gehören den verschiedensten Parteien an, sind aus Oberbayern oder vereinzelt auch von weiter her angereist und haben eins gemeinsam: Sie wollen Verantwortung übernehmen.
Damit sind sie oftmals die Ausnahme. Viele Frauen wagen den Schritt in die Öffentlichkeit wegen fehlenden Know-hows, einem mangelnden Netzwerk oder Angst vor Hass und Hetze nicht - die sogenannte gläserne Decke hält sie ab. „Sichtbarkeit ist die Währung der Politik“, erklärt Fidip-Präsidentin Sabine Appelhagen, „nur wer sichtbar ist, kann Veränderungen anstoßen.“
Die Zusammenkunft in Tutzing ist nicht das erste Event dieser Art, das Appelhagen und die anderen Ehrenamtlichen auf die Beine stellen. 15 Gründungsmitglieder haben Fidip 2023 aus der Taufe gehoben, seitdem finden regelmäßig Veranstaltungen sowohl online als auch in Präsenz statt. Während Appelhagen die vergangenen Jahre Revue passieren lässt, projiziert der Beamer große Bilder von Filmabenden, Lesungen und Stammtischen an die Wand über der Bühne.

Die Fidip-Formate haben den Anspruch, mit Beruf und Familienleben vereinbar zu sein, denn Frauen wenden am Tag immer noch mehr als 40 Prozent ihrer Zeit mehr für Sorgearbeit auf als Männer. Auch das ist eine Einstiegshürde für viele Frauen. Mittlerweile ist der Verein auf gut 40 Mitglieder gewachsen. „Politik klingt immer so ernst, aber eigentlich haben wir total viel Spaß. Man lernt viele interessante Frauen - und auch Männer - kennen“, resümiert Gründungsmitglied Carolin Fried. In der Tat liegt im Saal eine Art motivierte Aufbruchsstimmung in der Luft.
Zu Gast für die Podiumsdikussion ist unter anderem Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag. Vor drei Jahren erregte sie Aufsehen, indem sie ihren Sohn mit in den Landtag nahm. Sie sagt selbst über sich, sie provoziere in doppelter Hinsicht: als Frau, und als Grüne. Deshalb sei sie regelmäßig Hass und Hetze im Netz ausgesetzt. Heute versucht sie anderen Frauen Tipps zu geben, mit dem Gegenwind umzugehen. „Viele Frauen haben die Selbstverständlichkeit, die Männer in der Politik mit an den Tisch bringen, noch nicht internalisiert“, erklärt sie, „Und warum ist das so? Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der Männern und Frauen unterschiedliche Rollen zugeschrieben werden.“ Ihre drei Mitdiskutantinnen nicken ihr zustimmend zu. Auf der Bühne rücken ihre parteilichen Differenzen in den Hintergrund, sie eint ihr Ziel, Politik paritätisch zu machen.

„In dem ersten Shitstorm, mit dem ich konfrontiert war, war auch ein Kollege betroffen. Wir haben danach unsere Nachrichten und Kommentare verglichen. Da musste ich feststellen, dass es selbst im Hass einen Gender-Aspekt gibt. Ich wurde in den Kommentaren deutlich häufiger geduzt als mein Kollege, die Nachrichten waren viel objektifizierender“, erinnert sich Schulze. Die Studienlage stützt Schulzes Erfahrungen: Frauen in der Politik werden häufiger unterbrochen und weniger ernst genommen, öfter auf ihr Äußeres reduziert. „Ich würde gerne sagen, ich habe ein dickes Fell und es prallt an mir ab, aber dem ist leider nicht so. Wenn euch Hass im Netz entgegenkommt, denkt dran: Ihr müsst das nicht auszuhalten. Die Verantwortung liegt beim Täter.“ Opfer von digitaler Gewalt können Hilfe bei gemeinnützigen Organisationen wie Hate-Aid suchen. Hate-Aid klärt auf, bietet kostenlose Beratung und kann im Ernstfall sogar Gerichtsprozesse finanzieren. Schulzes Stimme wird lauter, als sie schließt: „Zuletzt denke ich mir: Ich tue euch Hatern den Gefallen nicht. Ihr müsst weiter aushalten, dass ich als Frau Politik mache.“
Auch wenn Appelhagen sich vom Rückgang der Frauenquote im Bundestag enttäuscht zeigt, blickt sie nach vorn. Angesichts der Kommunalwahlen in Bayern 2026 hat Fidip zusammen mit Schulze und anderen Politikerinnen und Verbänden die Initiative „Bavaria ruft!“ zur Förderung von Frauen in der Kommunalpolitik ins Leben gerufen. Um an den Fidip-Veranstaltungen teilzunehmen, muss Frau sich lediglich per Mail beim Verein melden und wird dann zu einem Kennlerngespräch eingeladen. „Wir sind noch lange nicht am Ende“, sagt Appelhagen entschlossen, „jede Wahl ist eine Fidip-Wahl!“