Süddeutsche Zeitung

Fotografie in Gauting:Das Besondere im Gewöhnlichen

Mit seinem Fotoapparat geht der mehrfach prämierte Künstler Michael Nguyen in seiner Heimatgemeinde täglich auf Motivjagd und erspäht dabei interessante und schöne Dinge, aber auch manche Hässlichkeit. Im Internet präsentiert er nun seine Bilderserien unter dem Namen "Heimat Gauting: Am Straßenrand"

Von Blanche Mamer, Gauting

Zweimal am Tag spaziert er durch Gauting: Oft schon ziemlich früh am Morgen, um die ersten Sonnenstrahlen einzufangen, gern auch in der Dämmerung, wenn der Ort und die Landschaft in diffusem Licht versinken. Und immer hat er den Fotoapparat dabei. "Wer mit offenen Augen spazieren geht, kann interessante und schöne Dinge, aber auch manche Hässlichkeit entdecken", sagt der Fotokünstler Michael Nguyen. Jede Besonderheit nimmt er auf, manchmal auch ganz gewöhnliche Dinge, an denen er sicher vorher schon öfters vorbeigelaufen ist. All diese Aufnahmen hat Nguyen jetzt als fortlaufende Fotoserie konzipiert und online gestellt, Thema: "Heimat Gauting: Am Straßenrand".

Jeden Tag kommen neue Fotos hinzu. Vor drei Tagen beispielsweise hat er zwei Männer auf dem Dach eines gelben Hauses entdeckt. Nun sind sie auf dem Foto mit der Nummer Zwei der Serie verewigt. Oder den Abriss der Bergmoser-Villa an der Bahnhofstraße hat er dokumentiert. Da war er mehrfach, zuletzt in der Morgendämmerung, als sich die aufgehende Sonne im Kranhäuschen spiegelte und der letzte stehende Gebäudeflügel traurig vor dem noch grauen Himmel aufragte. "Eine Schande", sagt er zu dem Abbruch. Wie er denn überhaupt findet, dass Gauting architektonisch "immer mehr verhunzt" wird.

Seit fünf Jahren ist er in Gauting daheim, und wie wohl viele andere Bürger auch, verbindet ihn eine Art Hassliebe mit seinem Ort. "Mir gefällt die reizvolle Landschaft, die Wälder rundum und die Stimmung an der Würm. Ich finde es auch gut, dass man alles fußläufig erreicht, Arzt, Geschäfte, Apotheke. Doch ich hadere oft, weil so vieles schöne Alte verschwindet."

Die meisten Fotos konnten nur entstehen, weil Nguyen einen besonderen Blick für seine Umgebung hat und auch Alltäglichem einen zweiten Blick schenkt. Da sind beispielsweise die Kaugummi-Automaten: Er hat bisher vier entdeckt, die wie Relikte aus den 50-er Jahren an Zäunen und Hauswänden hängen. Oder gelbe Briefkästen, Staketenzäune, Bäume, Baumskelette, ungewöhnliche Hauswände, alte Garagen, Ruhebänke, verwunschene Landschaften - und hin und wieder Menschen. Wie die Familie in einer Winterlandschaft, die hintereinander mit einem Schlitten durch den Schnee stapft, ein gefühlvolles stimmiges Bild, das wie gemalt wirkt.

Nguyen, der 2007 von Berlin nach München gekommen und 2015 nach Gauting gezogen ist, widmet sich seit 2018 wieder ganz der Kunst. Er war im Vorstand des Gautinger Kunstvereins und betreut immer noch dessen Homepage. Er ist Chefredakteur von "Tagree", ein Online-Magazin für Fotografie und Kunst. Für September hatte er die "Gauting International Photo Week" mit 20 international renommierten Fotokünstlern geplant, die aber kam wegen Corona nicht zustande. Allerdings hatte er selbst im Corona-Jahr 2020 einige internationale Erfolge: So wurde sein Foto "Lockdown" beim "PX 3 - Prix de la Photographie Paris" mit Silber in der Kategorie "Fine Art/Digitally Enhanced" ausgezeichnet. Das strenge Bild von leeren Sesseln und aufgeschichteten Stühlen sei bei einem Spaziergang durch die Münchner Innenstadt entstanden. "Ich habe die leeren Stuhlreihen durchs Fenster des Lokals "Brenner" fotografiert", sagt er. Durch die digitale Bearbeitung wird klar, dass nicht nur die Gastronomie düstere Zeiten durchmacht. Die Corona-Pandemie fesselt die Leute ans Haus, gemeinsames Erleben in Restaurants, Cafés, Bars oder Stätten der Kultur sind tabu. Dieser zweite Platz sei für ihn die bisher höchste und angesehenste Auszeichnung für seine Fotokunst.

Es war nicht die einzige Auszeichnung, denn es kamen - ebenfalls in Paris - zehn lobende Erwähnungen hinzu, beispielsweise für die Serien "On the Streets of Solitude" und "By the lake, in the forest and in the meadow". Letztere zeigt fast ausschließlich Motive aus dem Landkreis Starnberg. Besonders stolz ist er auf eine Auszeichnung der "Siena Creative Photo Awards 2020", wo er in der Kategorie "Natur & Landschaft" eine lobende Erwähnung für das Foto einer Gautinger Landschaft erhalten hat. Ortskenner und Spaziergänger werden die Bäume an der Hangkante und die karg bewachsene Landschaft als die sogenannte "dritte Dullen" an der Hangkante gegenüber vom GSC erkennen. Sehr freuen würde er sich, wenn sich Gautinger Ärzte oder Geschäftsleute für seine Fotos interessieren und sie in ihren Räumen oder Praxen zeigen würden.

Die Gauting-Fotos sind zu finden unter: www.nguyensminiaturen.de

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Quelle:
SZ vom 26.10.2020
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