Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Nach Gauting, weil es so schön klingt

Beim Adventsfest "Flüchtlinge begegnen Bürgern" erzählen Asylbewerber von ihren ersten Tagen in der Würmtalgemeinde. Die meisten wissen nicht, ob sie bleiben können, aber sie sind voller Hoffnung

Von Blanche Mamer, Gauting

Für Arafad H.M. und Mubarak A.M. aus Somalia war die Ankunft im Mai in der Flüchtlingsunterkunft in der Bergstraße in Gauting erst mal voll von Missverständnissen, über die sie jetzt lachend erzählen. Sie waren vorher in Tutzing und wurden gefragt, ob sie nach Starnberg, Pöcking oder Gauting wollten. Sie sagten Gauting, weil der Name schön klang und sie ihn aussprechen konnten. Die beiden berichten beim gemeinsamen Adventsfest "Flüchtlinge begegnen Bürgern" im Gautinger Rathaus von ihren ersten skurrilen Erfahrungen. Als ihnen erklärt wurde, dass die Unterkunft in einem großen Garten liege, "habe ich Angst, ich denke, da sind giftige Schlangen und Spinnen, wie in Somalia. Doch dann sagte man mir, es gibt keine giftige Schlange in Gauting, das ist ein Regenwurm", erzählt Mubarak und lacht schallend. Und alle hätten sich über sein T-Shirt lustig gemacht, er selbst konnte den deutschen Aufdruck lange nicht verstehen. Der Text lautet "Ich bin Single, weil die Auswahl Scheiße ist". Er zieht es jetzt nicht mehr an.

War der gemeinsame Abend mit Bildern, Liedern und Worten vor einem Jahr noch von Wehmut geprägt, sind beim Fest am Samstag alle gut gelaunt, sogar fröhlich. Selbst die wenigen traurigen, schmerzvollen Erzählungen zeigen Hoffnung auf bessere Zeiten. Gute Stimmung macht schon das Begrüßungslied "Kling Glöckchen, klingelingeling" des Unterbrunner Kinderchors mit Kindern aus Unterbrunn, Tschetschenien, Syrien, Afghanistan, Deutschland und der Schweiz. "Hier hat ein gutes Stück Integration stattgefunden", sagt Vizebürgermeister Jürgen Sklarek. Er lobt die gute Arbeit der Ehrenamtlichen, besonders das Bestreben, den Ankommenden nicht die deutsche Kultur überstülpen zu wollen. Wahrscheinlich noch vor Weihnachten könne die neue Unterkunft im Gebäude von Apparatebau bezogen werden.

Claudia von Maltitz, die den Gautinger Helferkreis organisiert, erzählt, dass nur wenige der 87 Flüchtlinge, die seit zweieinhalb Jahren in der Ammerseestraße leben, im Asylverfahren seien, die meisten hätten noch nicht einmal das erste Interview bei der Behörde. Obwohl sie also nicht wüssten, ob sie bleiben können, lernen sie deutsch und versuchen, Fuß zu fassen, beginnen Ausbildungen, nehmen Minijobs an. Und engagieren sich sogar, wie Galina Shiskina und ihr Mann Sergej aus Karelien im Nordwesten Russlands, als Schulweghelfer, wie Sibylle Picot berichtet. Sehr positiv sieht auch der Kunstmaler Christian Trampler-Benzinger die Arbeit mit der Kinder-Malgruppe. Mit deren Bildern hat er einen Postkarten-Kalender gestaltet, dessen Verkaufserlös wieder ins Projekt fließt. Uni-Dozentin Petra Rauscher, die früher am Otto-von-Taube-Gymnasium Gauting unterrichtete, stellt ein gemeinsames zweisprachiges Kochbuch vor, ein interkulturelles Projekt von LMU, Gymnasium und Flüchtlingen, das in der Buchhandlung Kirchheim erhältlich ist.

Die gute Stimmung entsteht vor allem durch die Musik, wie vom kleinen Kinderchor der Neuankömmlinge in Stockdorf, die zwar noch kein Deutsch können, dafür aber ein afghanisches Fußball-Anfeuerungslied schmettern. Vom musikalischen Zusammenspiel von Würmtalern und Flüchtlingen lassen sich sogar sonst nicht so tanzfreudige Gautinger anstecken.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2015
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