Kampf gegen den KrebsImmer weitermachen

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Operationen und Chemotherapien: Gudrun Benteler hat beides schon mehrfach durchgemacht.
Operationen und Chemotherapien: Gudrun Benteler hat beides schon mehrfach durchgemacht. (Foto: Imago)

Vor acht Jahren entdecken Ärzte bei Gudrun Benteler Eierstockkrebs. Die Hälfte der Patientinnen stirbt innerhalb von fünf Jahren an der Krankheit. Doch Benteler kämpft sich immer wieder zurück - und steht heute mitten im Leben. Über eine Frau und ihr ganz persönliches Überlebensrezept.

Von Carolin Fries, Dießen

Als sie gerade alles erreicht hatte, was sie sich wünschte, brach ihre Welt zusammen. In wenigen Monaten sollte Gudrun Benteler ihre neue Stelle antreten, da entdeckten Ärzte in ihrem Bauchraum eine Ansammlung von Tumoren. Die Diagnose: Ovarialkarzinom, Stadium III. Fast schon ein Todesurteil. Eierstockkrebs gilt als eine der aggressivsten seiner Art, nur vier von zehn Frauen leben fünf Jahre nach der Diagnose noch. Ein Schock. Ihre zwei Söhne, damals 13 und 17 Jahre alt, leben bei ihr. Wie soll es weitergehen? „Es hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen“, sagt sie.

Acht Jahre später sitzt Benteler bei sich zu Hause am Küchentisch. Die blonden Haare hat sie zum Pferdeschwanz gebunden, sie trägt dezentes Make-up und Businesslook. Die Frau mit einer der tödlichsten Krankheiten ist voller Energie, huscht in die Küche, um Tee zu machen. Während des Gesprächs blickt sie immer wieder auf ihr Telefon, das erste Meeting beginnt in knapp einer Stunde. Eine Langzeitüberlebende im ganz normalen Arbeitsalltag. „Ich weiß, man merkt es mir nicht an“, sagt sie und lächelt, ein zaghaftes Siegerlächeln. Wie schafft sie das? Zu überleben und mehr noch: mitten im Leben zu stehen, mit vollem Terminkalender, Dienstreisen und Messen?

Sie sagt, sie habe damals im Februar 2017 nichts über die Krankheit gelesen, die Diagnose nicht bei Google eingetippt. Stattdessen beschloss sie, einfach weiterzumachen. „Es gibt doch gar keine Alternative“, sagt sie. Da waren ihre Kinder, Familie, ein großer Freundeskreis, Katze Abbi, das noch nicht abbezahlte Einfamilienhaus in Finning, der neue Job bei der Seefelder Dependance des US-amerikanischen Gesundheitsunternehmens Solventum. Sie wurde gebraucht, überall. „Ich würde mich nicht als gläubigen Menschen bezeichnen“, sagt die 55-Jährige. Aber in dieser Lebenskrise begann sie, auf die Unterstützung übergeordneter Mächte zu bauen. Und auf Routinen.

Zwei Tage nach der Diagnose wird sie operiert, Eierstöcke und Gebärmutter werden entfernt. Knapp drei Wochen später beginnt die Chemotherapie. Die Ärzte geben ihr den Rat, einen gesunden Egoismus zu entwickeln, um konsequent entscheiden zu können, was gut für sie ist. Nach drei Monaten ist Gudrun Benteler zurück am Arbeitsplatz. Sie möchte den neuen Job antreten, ihre Vorgesetzten und die Kollegen nicht enttäuschen. Die gelernte Zahntechnikerin trainiert Zahnärztinnen und Zahnarzthelfer auf die Firmenprodukte. Vor allem aber braucht sie die vertraute Struktur.

Donnerstags Chemo, montags wieder im Büro

Die Chemotherapien legt sie auf Donnerstage - damit sie montags wieder fit ist. Sie hält sich am Leben fest und lässt nicht locker. Wer ganz normal arbeitet, seine Freunde trifft und am Wochenende Yoga macht, der stirbt nicht einfach an Krebs, so ihr Plan. Eine britische Studie belegt die positiven Auswirkungen von Erwerbstätigkeit nach der Behandlung von gynäkologischem Krebs. Wieder zu arbeiten sei „zweifellos von zentraler Bedeutung“, heißt es darin. Der Job biete nicht nur ökonomisches Kapital, sondern sei darüber hinaus „sinnstiftend und sozial relevant“ und habe damit ein symbolisches Gewicht.

Generell gelten soziale Beziehungen als resilienzfördernd. Und: Je größer die Widerstandskraft, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Erkrankung nicht auf die Psyche schlägt. Gudrun Benteler sagt, abstrakte Dinge wie Blutwerte und OP-Protokolle könne sie recht gut wegstecken. Als ihr allerdings bei der Chemotherapie die Haare ausgingen, sei das für sie psychisch „extrem schlimm“ gewesen. „Jeder Blick in den Spiegel tat weh.“ Diese seelischen Schmerzen, das schwor sie sich damals, würde sie nicht noch einmal erleiden wollen. Bei den folgenden Behandlungen trug sie sogenannte Kühlhauben, welche die Kopfhaut auf bis zu fünf Grad Celsius senken. „Das tut so weh, dass man vorher Schmerzmittel nehmen muss“, erklärt Benteler. Aber es lohne sich. Ihre Haare habe sie so halten können.

Gudrun Benteler liebt schicke Kleidung. Manchmal macht sie bei Modenschauen in der Boutique einer Freundin mit.
Gudrun Benteler liebt schicke Kleidung. Manchmal macht sie bei Modenschauen in der Boutique einer Freundin mit. (Foto: Jens Mueller/oh)

Es dauert eineinhalb Jahre, bis der Krebs zum ersten Mal zurückkehrt. Gudrun Benteler wird ein verkapselter Lymphknoten aus der Leiste operiert, danach folgt wieder Chemotherapie. Zwischen 90 und 125 Euro pro Behandlung muss sie für die Kühlkappe drauflegen, um ihre Haare zu erhalten. Vier Jahre bleibt sie darauf krebsfrei. Dann kehrt der Krebs im Februar vergangenen Jahres zum zweiten Mal zurück. „Ich hatte gar nicht mehr viel daran gedacht“, erzählt sie. Wieder werden Tumore im Bauchraum festgestellt. Acht Stunden dauert die Operation diesmal. „So schlecht wie danach ging es mir nie“, erinnert sie sich. Zusätzlich zu den Sorgen um die Gesundheit belastet sie nun auch das Finanzielle. Was, wenn sie länger ausfallen sollte und nur noch einen Teil ihres Gehalts bekommt? Wieder beginnt sie eine Chemotherapie. Sieben Monate nach der erneuten Krebsdiagnose kehrt sie zurück an den Arbeitsplatz.

„Sie ist so unglaublich diszipliniert“, sagt Julia Künzel. Die 53-Jährige ist seit 2017 eine enge Kollegin von Gudrun Benteler in der Seefelder Firma und kennt deren Krankengeschichte. „Fast unrealistisch“ sei es, wie diese sich da durchgekämpft habe. „Sie hat nie eine Wiedereingliederung gemacht, kam immer 100-prozentig zurück.“ Umso größer war der Schock zum Jahresende 2024, als Benteler ihrer Kollegin mitteilt, dass der Krebs schon wieder da sei. Die Chemotherapie hatte offenbar kaum eine Wirkung gezeigt.

„Natürlich fragt man sich da, was man tun kann“, erzählt Künzel. Doch es gab einen Strohhalm: Mirvetuximab Soravtansine, bekannt unter dem Handelsnamen „Elahere“. Ein neuartiges Medikament, das Krebszellen zerstört und in der EU gerade neu zugelassen war. Darauf setzte Bentelers Onkologe seine letzte Hoffnung. Allerdings ist es teuer: In den USA kostet ein Milliliter 1000 Dollar, „bei meinem Körpergewicht fallen pro Behandlung 59 Milliliter an“, rechnet Benteler vor - und mindestens sechs Termine hatte ihr Onkologe veranschlagt. Die Kosten gehen so in die Hunderttausende. Also startete Künzel zusammen mit ihrem Chef eine Spendenaktion über die Crowfunding-Plattform Gofundme. „Innerhalb von einer Stunde hatten wir das auf die Beine gestellt“, sagt sie.

Freunde, Kollegen und wildfremde Menschen spenden

Kollegen, Freunde und Bekannte, aber auch wildfremde Menschen spenden, Hunderte Geldbeträge bis maximal 1000 Euro gehen ein. 37 027 Euro kommen zusammen. Gudrun Benteler ist überwältigt von der Hilfsbereitschaft, sie sagt, das trage sie. Schließlich teilt die Kasse mit, dass sie die Kosten nun doch übernehmen werde. Bentelers Arzt hatte Widerspruch eingereicht. Am Mittwoch vergangener Woche war es so weit: Gudrun Benteler bekam erstmals Mirvetuximab Soravtansine verabreicht. Fünf Stunden lang tröpfelte die Infusion über den Katheter in ihren Blutkreislauf. „Ich war schon sehr nervös, gerade wegen der Nebenwirkungen“, erzählt sie. Um mögliche Sehstörungen zu vermeiden, kühlte sie während der Behandlung ununterbrochen ihre Augen.

Ob die Therapie anschlägt, wird die 55-Jährige erst in etwa drei Monaten erfahren. Dann stehen Computertomografie und Blutuntersuchung an. Bis dahin ist eine Menge zu tun: Für vier Tage wird Gudrun Benteler auf der Dental-Fachmesse in Köln arbeiten, danach weiter in Seefeld, bis es Ende Mai mit ihren Söhnen in den Urlaub nach Schottland geht. Sie sind inzwischen ausgezogen und studieren. „Das alles hält mich am Leben“, sagt Benteler. Klar, sie habe ein Testament gemacht, die letzten Dinge geregelt - und plane dennoch weiter. Was nun mit dem gespendeten Geld passiert? Sie weiß es nicht. Womöglich brauche sie eines Tages eine Augenoperation oder eine Erhaltungstherapie, vielleicht Taxifahrten zur onkologischen Praxis. Eines aber weiß sie ganz sicher: Ihren 60. Geburtstag will sie noch erleben und groß feiern. Und Oma werden, das wäre auch noch schön.

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