Süddeutsche Zeitung

Finalisten beim Wirtschaftspreis:Der Chef im Home-Office

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Uwe Schirrmacher schult Manager. Wegen Corona musste er sein Akademieangebot ins Virtuelle verlegen und hilft nun bei der "Führung auf Distanz"

Von Jessica Schober, Berg

Es gibt da diesen Mitarbeiter, der im Home-Office kaum noch Aufgaben erledigt. Er hält sich nicht an Zusagen, er ist ein "low performer". Was tun mit so einem Kollegen daheim? Eine kniffelige Frage für eine Führungskraft. Mit den digitalen Weiterbildungsangeboten der Schirrmacher Gmbh können Chefinnen und Chefs online lernen und üben, wie sie ihr Unternehmen gut durch die Krise lenken. Dafür hat Firmengründer Uwe Schirrmacher aus Berg sein Angebot komplett ins Virtuelle verlegt. Er begleitet Führungskräfte durch die Krise. Und hat dadurch auch die schlimmsten Folgen der Krise für seine eigene Firma überwunden. Jetzt steht Schirrmacher im Finale des Starnberger Wirtschaftspreises.

Das begründet die Jury so: "Für die Schirrmacher GmbH ist durch die Corona Pandemie die komplette Unternehmensgrundlage weggefallen, da sie davor ausschließlich Präsenzseminare vor Ort beim Kunden oder in Hotels durchgeführt hat. Es ist Uwe Schirrmacher und seinem Team gelungen, in kürzester Zeit digitale Seminarprodukte mit entsprechender Online-Durchführung zu entwickeln", bestätigt Annette von Nordeck von der Regionalagentur GWT. Der Schwenk in der Geschäftsausrichtung habe die Juroren beeindruckt. Den Geschäftsführer Schirrmacher hat sie zuvor einige schlaflose Nächte gekostet. "Wir haben keine Chance - also nutzen wir sie", dachte er sich im Frühjahr. "Wir wussten nicht, ob wir überleben, aber ich wollte alles Mögliche dafür tun."

Weiterbildungen für Führungskräfte - das bedeutete eben bis zum Frühjahr ein klar umrissenes Angebot: Meist zogen sich Managerinnen und Manager mit einem Coach für einige Zeit in ein Tagungshotel zurück. 100 solcher Trainingstage hatte Uwe Schirrmacher durchschnittlich im Jahr, seine Familie und Freunde sah er selten. Doch dann brach der Markt für Präsenztrainings wegen der Corona-Pandemie komplett ein. Im April machte Schirrmacher null Euro Umsatz. Er entschloss sich zu einem Neuanfang. "Alle unsere Seminare werden jetzt digital angeboten."

Schirrmacher ist einer, der versteht, wie Menschen lernen. Er weiß, dass es nichts bringt, Teilnehmenden in Webinaren eine Power-Point-Präsentation nach der anderen vorzuführen. Da schalten die ab. Und Schirrmacher weiß, welcher Trieb den Menschen vorantreibt: die Freude am Spielen. Gamification ist ein Trend, auf den immer mehr Branchen setzen. Bei Schirrmachers Lernangeboten spielen die Teilnehmenden Chef-Sein, in Echtzeit und mit realistischen Problemen, so wie mit dem fiktiven faulen Mitarbeiter im Home-Office.

Auch Schirrmacher arbeitet jetzt von daheim aus. Der 56-Jährige lebt in Berg mit seiner Frau, einer ehemaligen Fernsehredakteurin, die mit in sein Geschäft eingestiegen ist und nun die Planspielentwicklung und Qualitätssicherung leitet. "Momentan werden in vielen Firmen die Weiterbildungsbudgets gekürzt, da ist es besonders schwer, neue Kunden zu gewinnen", sagt Schirrmacher. Im Sommer hatte die Schirrmacher Group nur 30 Prozent der normalen Umsätze. "Wenn wir Glück haben, schließen wir das Jahr mit einer schwarzen Null ab, obwohl der Umsatz nur ein Drittel des Vorjahres beträgt." Einige ausgefallene Präsenzseminare konnte Schirrmacher direkt digital durchführen. Denn der Bedarf an Weiterbildung ist da: Chefs müssen jetzt lernen, wie "Führung auf Distanz" funktioniert, so Schirrmacher. Wie sie ein Mitarbeitergespräch online führen, wie sie die Arbeitszeiten im Home-Office kontrollieren.

Auf Schirrmachers Plattform können Führungskräfte einen Selbsttest machen, um danach genauer zu wissen, wo sie noch Entwicklungspotenziale haben. Kompetenzorientiertes Lernen nennt Schirrmacher das. Eine Führungs-App war schon vor Corona in der Entwicklung, aber noch lange nicht ausgereift. Seine Planspiele bietet Schirrmacher nun mit einer digitalen Spieleplattform an. Dabei greifen bis zu zwölf Personen auf ein 3D-Spielbrett zu. "Monopoly für Erwachsene", nennt er das manchmal. Die 3D-Optik erzeuge dabei einen neuen Gemeinschaftssinn. "Wir sind die einzigen, die so etwas im Angebot haben."

Schirrmacher sitzt nun viel seltener im Auto, die vier Fahrzeuge im Betriebsbestand bleiben öfter stehen, die Reisekosten sind insgesamt um 80 Prozent zurückgegangen. Inzwischen weiß er: "Reisezeit ist verlorene Zeit. Wir sind jetzt viel effizienter geworden." Vier feste Mitarbeiter und zwei Teilzeitkräfte arbeiten weiterhin für die Firma. Dazu 50 freie Coaches im Trainerpool, die nun nach und nach für die Onlinekurse umgeschult werden. In Zukunft, so schätzt Schirrmacher, würden vielleicht noch 30 bis 40 Prozent der Trainings als Präsenzseminar stattfinden. Der Rest werde online bleiben, prognostiziert er. Für den Diplomkaufmann ist klar: "Die alte Welt kommt nicht zurück".

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SZ vom 02.11.2020
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