Filmfestival:Das Fenster zur Welt

Die Mischung aus Arthouse-Filmen und unterhaltsamen Stoffen ist heuer besonders ausgewogen

Von Gerhard Summer, Starnberg

Die E-Mobile fehlen, und Walter Steffen, die Konstante des Fünfseen-Filmfestivals, ist auch nicht dabei. Schade. Ja gut, die Elektroautos, die das Team um den Kinochef Matthias Helwig heuer nicht auftreiben konnte, sind womöglich noch zu verschmerzen. Sie waren witzig und ein Zeichen in Zeiten des Umdenkens, doch einige Filmstars erinnern sich vor allem daran, wie sie mit den Dingern in der Pampa hängen blieben.

Steffens Auftritte in den Pressekonferenzen aber und seine Zusicherung, dass er jetzt schon am Schneiden seines Films und insgesamt doch zuversichtlich sei, irgendwie fertig zu werden, gehören zu den liebgewonnenen Ritualen dieses Großereignisses. Diesmal gibt es keine Hoffnung, dass er sein neues Werk über die Flößer ("Fahr ma obi am Wasser") noch rechtzeitig zum Finale in Starnberg hinbekommt. Der Produktion des Selfmade-Regisseurs aus Seeshaupt wird voraussichtlich erst 2017 fertig werden und dann erstmals im Mai in Wolfratshausen zu sehen sein. Dort gibt es nämlich die Deutschen Flößertage, was andererseits sicher auch eine schöne Sache ist.

Ohnehin ist das Angebot des zehnten Festivals in Starnberg, Herrsching, Seefeld, Weßling, Wörthsee, Hochstadt und Tutzing groß genug. 160 Filme an zwölf Tagen, das ist ein gewaltiges Tableau. Wer das 258 Seiten dicke Programmbuch zum ersten Mal in die Hand nimmt und durchblättert, könnte durchaus verzagen. Denn bei allem spürbaren Bemühen der Macher um Übersicht und Ordnung, sind nach den ersten paar Minuten Lektüre so gut wie alle Klarheiten beseitigt. Man fragt sich, was denn nun der Unterschied zwischen Kategorien wie Horizonte- und Fünfseen-Filmen ist und rätselt, wie man das alles schaffen soll. Ist zum Beispiel ein Teenager-Drama wie "Keeper", das angeblich die Kritiker jubeln ließ, sich aber in der Beschreibung eher durchschnittlich liest, wirklich ein Muss? Und wonach soll man bei Premieren überhaupt gehen: nach Inhaltsangaben, Kritiken, bekannten Namen? Für Helwig wäre das alles kein Problem, er würde sagen: Man muss alle Filme sehen!

Klar ist zumindest: Die Mischung aus Arthouse-Filmen und unterhaltsamen Stoffen ist heuer sehr ausgewogen. Es gibt erstaunlich viele Komödien im Programm, es finden sich zugleich auch die schweren Stücke, für die das Festival weithin bekannt ist, und darüber hinaus mindestens ein Dutzend Klassiker wie "Tanz der Vampire", "Der letzte Tango", "Die fabelhaften Baker Boys", "Alles auf Zucker", "Night on Earth" und "Die Bettwurst", die fast jeder schon gesehen hat. Letzteres liegt daran, dass sich das zehnte Filmfest vor seinen Vorläufern verbeugt, dass es eine "In memoriam"-Reihe gibt und die Fritz-Lang-Werkschau.

Wer vorhatte, Ende Juli um den Globus zu düsen, kann beruhigt umdisponieren, nach Starnberg fahren und sich erst mal in den Kinosessel fallen lassen. Denn Helwig tut alles, um das Fenster zur Welt weit aufzureißen. Die thematische Spannbreite der Filme aus aller Herren Länder ist weit: Es geht um Emanzipation auf dem bulgarischen Land, um das Handwerk der japanischen Taucherinnen, die Greuel im Kosovo, um Gentechnik, Zwangsadoption, Architektur, Tanz und Musik. Der Grenzort Brenner leuchtet genauso auf der Leinwand auf wie ein gottverlassenes kasachisches Kaff. Videokunst ist nebst jungem Kino vertreten. Und natürlich gibt es die traditionelle Dampferfahrt und Diskussion über das "Fremde im Film" oder die Zwänge der Drehbuchautoren. Eine ganze Armada von Regisseuren erzählt also von Liebe, Intrigen, Morden und dem Alltag - Helwig und seine Mannschaft lassen fast nichts aus, nur bei Thrillern und Science-Fiction sind sie nach wie vor zurückhaltend.

Letztlich bleibt immer die Frage: Welchen Film darf man bei diesem Festival mit 15 Deutschland- und 20 Süddeutschland-Premieren, mit den Ehrengästen Doris Dörrie und Goran Paskaljevic, mit Regisseuren und Schauspielern wie Heino Ferch, Florian David Fitz, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Rosa von Praunheim, Edgar Reitz und Götz Spielmann auf gar keinen Fall versäumen? Darauf gibt es vermutlich 160 Antworten, eine davon lautet: "Abwärts", Carl Schenkels wunderbares Kammerspiel im Aufzug. In dem Psycho-Thriller von 1984 stecken übrigens auch Ideen von Matthias Helwig, er arbeitete als Regie- und Produktionsassistent mit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: