Filmfest:Kirche, Missbrauch und Rage

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Die Diskussion über die Doku "Verteidiger des Glaubens" muss in Starnberg nach heftigen Angriffen gegen den Regisseur abgebrochen werden. Der katholische Stadtpfarrer Andreas Jall stellt sich vor den Filmemacher.

Von Blanche Mamer, Seefeld

"Ich habe selten so schwere Angriffe erlebt wie am Sonntag in Starnberg. Ich bin richtig froh, dass die Diskussion heute sachlich geblieben ist", sagt Regisseur Christoph Röhl am Montagabend im Kino in Seefeld. Seine Dokumentation "Verteidiger des Glaubens", ein Film über Joseph Ratzinger, den emeritierten Papst Benedikt XVI., und die systematische Vertuschung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, hatte am Sonntag einige Anhänger des bayerischen Papstes offenbar extrem aufgewühlt und zu persönlichen Beleidigungen verleitet. Von einer unguten Atmosphäre und verbaler Eskalation in der Schlossberghalle sprach auch der evangelische Filmpfarrer Eckart Bruchner aus Gauting. Vor allem vier der Kinobesucher hätten den Regisseur heftigst angegriffen und mit emotionalen Zwischenrufen jede seriöse Diskussion erstickt. Bis Moderatorin Anja Schmid die Veranstaltung abbrach. Als Gesprächspartner war am Montag in Seefeld der emeritierte Professor, Psychiater und Experte für Missbrauchsfälle Jost Martinus eingeladen.

"Für mich stellt sich die Frage, wie solche Strukturen entstehen, die es möglich machen, dass etwas so gewaltig Böses in meiner geliebten Kirche entsteht und dann geleugnet wird. Sicher ist es für manche Christen schwer, das zu sehen", sagte Stadtpfarrer Andreas Jall im Gespräch mit der SZ. Er hatte den Film gesehen, bevor dieser im Programm des Fünfseen-Filmfestivals gezeigt wurde, und für die Pfarreiengemeinschaft Starnberg die Patenschaft übernommen. Jall, der bei der Diskussion in der Schlossberghalle zugegen war, steht immer noch hinter dieser Entscheidung. Er findet, dass möglichst viele Gläubige den Film sehen sollten. Bruchner regte an, einen Studientag zum Missbrauch in der Kirche zu organisieren und dabei diesen Film und einen weiteren zum selben Thema zu zeigen.

Regisseur Röhl erklärte im Kino, er habe fünf Jahre recherchiert und sei mit Erzbischof Georg Gänswein ins Gespräch gekommen. Der Präfekt des Päpstlichen Hauses und Vertraute von Benedikt XVI. habe ihm viele Türen im Vatikan geöffnet. In seinem Film zeichnet Röhl den Werdegang von Josef Ratzinger. Der Regisseur stützt in seinem Film mit Interviews die These: Der emeritierte Papst habe sich schützend vor seine Kirche stellen wollen, sie dabei aber in eine ihrer schwersten Krise gestürzt. Denn Ratzinger habe die Missbrauchsfälle durch Priester und Bischöfe ignoriert. Dabei galt der Oberbayer während des Zweiten Vatikanischen Konzils als einer der progressivsten Köpfe.

Doch als Ratzinger nach Regensburg zu seinem Bruder, dem Dirigenten der Regensburger Domspatzen, zog, habe sich sein Weltbild geändert. Röhl zufolge sah er die Ordnung der katholischen Kirche zunehmend bedroht. Nachdem Ratzinger zum Bischof geweiht und zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen worden war, habe er die Macht bekommen, die Kirche zu kontrollieren. Eine große Faszination hatte er für die ultrastrenge österreichische Glaubensgemeinschaft "Das Werk". Das frühere Mitglied und Missbrauchsopfer, die Theologin Doris Wagner, analysiert im Film die absoluten Herrschaftsmechanismen dieser "geistlichen Familie" und deren Bedeutung für den Papst. Ein weiterer dubioser Priester, Marcial Maciel aus Mexico, der die Kongregation der Legionäre Christi gegründet hatte, stand lange Zeit unter der Protektion des Vatikans. Er war so mächtig, dass er bei einer offiziellen Feier seine Tochter und seine Lebensgefährtin zu seiner Linken sitzen ließ, wie eingeblendete Fotos belegen.

Missbrauchsvorwürfe gegen Maciel seien unter den Teppich gekehrt, die Opfer missachtet worden. Dieses Verhalten sei typisch für alle Missbrauchsfälle. "Was meinem Körper und meiner Seele angetan wurde, zählte nicht. Es war nur das Ansehen der Kirche und der Priester, das wichtig war", sagt Marie Collins in einer Interviewsequenz. Sie war mit 13 Jahren von einem Priester vergewaltigt worden. Jahrzehnte später arbeitete sie offiziell in der päpstlichen Kinderschutz-Kommission an der Aufarbeitung mit.

Röhl bezeichnete sich selbst als Atheist. Gleichwohl sei er von Papst Benedikt XVI. zunehmend fasziniert gewesen. Röhl zufolge war es sehr schwierig, die richtigen Interviewpartner zu finden und an Informationen zu kommen. Auskunft geben in der Doku neben Gänswein, Marie Collins und Doris Wagner zum Beispiel der Jesuit Klaus Mertes, der irische Priester und Schriftsteller Tony Flannery, der Priester, Theologieprofessor und langjährige Ratzinger-Weggefährte Wolfgang Beinert, der Theologe Hermann Häring, das ehemalige Mitglied der Legionäre Christi, Xavier Léger, und der mexikanische Ankläger von Maciels Missbrauchsfällen, Pablo Perez Guajardo. Der Film kommt am 31. Oktober in die Kinos.

© SZ vom 11.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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