Festival:Abenteuerliche Reise

Festival: Den modernen Romantiker herausgekehrt: Oliver Bunnenberg (li.) und Roman Gerber beim Auftritt in der Aula des Gymnasiums Tutzing.

Den modernen Romantiker herausgekehrt: Oliver Bunnenberg (li.) und Roman Gerber beim Auftritt in der Aula des Gymnasiums Tutzing.

(Foto: Arlet Ulfers)

Klarinettist Roman Gerber und Pianist Oliver Bunnenberg gelingt bei den Tutzinger Brahmstagen das Kunststück, Musik des Meisters stimmig mit Werken von Alban Berg und Leonard Bernstein zu verbinden

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Nur weil ihre Namen mit demselben Buchstaben beginnen, müssen ihre Werke natürlich noch lange nicht in einem Programm kompatibel sein. Zumindest wenn ein stimmiges Bild angestrebt werden soll. Klarinettist Roman Gerber und Pianist Oliver Bunnenberg hatten bei den Tutzinger Brahmstagen in der Aula des Gymnasiums daher die Wahl, ein heterogenes Programm zu präsentieren, oder eben interpretatorisch auf Verbindendes zu setzen. Sie entschieden sich für Letzteres und brachten Johannes Brahms mit Alban Berg und Leonard Bernstein in Beziehung. Ein gewagtes Unternehmen, aber legitim, kann sich doch die Forschung bei Brahms-Interpretationen nur auf Indizien stützen, ohne eine gewisse Modernität eindeutig ausschließen zu können.

Besonders schwierig war die Aufgabe, mit einer Brahms-Sonate zu den atonalen "Vier Stücken" op. 5 von Berg hinzuführen. Diese geradezu aphoristisch kurzen musikalischen Formen sind im Grunde purer Ausdruck, reine Essenz emotionaler Szenarien, auf die sich das in Neuer Musik firme Duo mit extremer Hingabe einließ. Wobei es nicht etwa um Kurzgeschichten ging, die sich auf nur eine Begebenheit beschränken. Ganz im Gegenteil: Adorno sah in jedem Stück einen Roman in einem Seufzer.

Gerber und Bunnenberg schickten denn auch das Publikum auf kurze Weltreisen, die jeweils unter einem zum Bersten angespannten Bogen zwischen geheimnisvoller Entrückung und röhrender Apokalypse auch keine Zwischennuancen aussparten.

Dennoch empfand man keinen Bruch nach der Brahms-Sonate Es-Dur op. 120/2. Das Spätwerk entstand in der Phase der extremen Reduktion der Ausdrucksmittel bei Brahms. Das machte sich das Duo zunutze, die klaren Emotionen zu fokussieren und kompositionstechnisches Beiwerk weit zurückzunehmen. Was zu frappierender Klarheit und zu einer mit Berg vergleichbaren Direktheit im Ausdruck führte. Brahms' harmonische Komplexität wurde nun deutlicher und mutete bisweilen sogar freitonal an. Der Charakter der Sonate verlagerte sich ins Erzählerische, oft mit Dialogen eigenständiger Stimmen.

Heterogenität als interpretatorisches Mittel zu verwenden, ist sicher nicht jedermanns Sache, doch für die neue Perspektive ein Gewinn. Dadurch verstärkten sich auch die emotionalen Ausprägungen, vor allem im Mittelsatz, dem "Allegro appassionato", der nun variationsreich und unterschwellig aufgewühlt aufs schwungvolles Finale hintrieb. Die sanglichen Passagen, insbesondere im Schlusssatz "Andante con moto", mussten im Gegenzug auf allzu wohlige Atmosphäre verzichten. Bisweilen hatte die Melodik gar etwas Widerborstiges, das dem raschen Dahinwirbeln aufs furiose Finale zu allerdings viel Kraft verlieh.

Man durfte auf den Rückweg zu Brahms und dessen Sonate f-Moll op. 120/1 gespannt sein. Und der führte über die 1941 bis 42 geschaffene Klarinettensonate von Bernstein, der nur wenige Werke ohne programmatischen Hintergrund komponiert hatte. Vor allem eben in jungen Jahren, als er die tradierten musikalischen Formen studierte und Hindemith näher stand als der U-Musik, die sich später bei ihm mit der E-Musik zu einem persönlichen Stil verbinden sollte. Nach der Pause folgte ein sanfter Einstieg, beginnt die Sonate doch mit einem vergnügten Umeinanderkreisen der Instrumente im "Grazioso". Erst im zweiten, ausladenden Satz griff Bernstein großzügig in den kompositionstechnischen Fundus. Das Duo nahm das Angebot mit großer Musizierlust auf, um von der ruhig schreitenden Einleitung über spritzige Ausgelassenheit, melodiöse Romantik und Tanzvergnügen zu einem mitreißend-stürmischen Finale zu gelangen. Dieser Satz öffnete der nachfolgenden Sonate alle Möglichkeiten, Brahms' ausgeprägte Einfälle ausdrucksstark auszuspielen. Weite Rücknahmen wirkten jetzt umso zarter, Schönmelodik poetischer, Tänzerisches geschmeidiger, Kraftvolles intensiver.

Keine Frage: Das Programm hatte empfänglicher gemacht für Ausprägungen und Nuancen. Selbst mit der warmtonigen Homogenität musste das Duo vorsichtig umgehen, empfand man sie nun eher als allzu biedermeierlich. Sparsam in wohliger Melodik angewandt, breitete sie allerdings sogleich enorm viel Atmosphäre aus. Ein echtes Hörabenteuer, das fesselte und das Publikum bis in die Wiederholungszugabe hinein mitnahm.

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