NS-GedenkenEin Ort und seine braune Vergangenheit

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Schüler der Reichsschule der NSDAP, die schon 1934 eröffnet wurde: Die Jugendlichen sollten zur künftigen Offizierselite erzogen werden und trugen von der Firma Lodenfrey geschneiderte Uniformen.
Schüler der Reichsschule der NSDAP, die schon 1934 eröffnet wurde: Die Jugendlichen sollten zur künftigen Offizierselite erzogen werden und trugen von der Firma Lodenfrey geschneiderte Uniformen. (Foto: privat)

Die Historiker Marita Krauss und Erich Kasberger haben für ein Buch das Kapitel der Nazi-Herrschaft und die Nachkriegszeit in Feldafing recherchiert.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Feldafing

Wie war das damals? In der Zeit unterm Hakenkreuz, als das nationalsozialistische Regime in Deutschland das Sagen hatte und Millionen Menschen unter Krieg, Verfolgung und Terror litten? Viele Städte und Gemeinden stellen sich diese Frage. Wie war das damals hier bei uns? Wer hat mitgemacht? Und was ist vor der eigenen Haustüre geschehen?

Die lokale Aufarbeitung der NS-Vergangenheit beschäftigt deshalb derzeit viele Historiker im Land – so auch in Feldafing. Vier Jahre lang hat das Historiker-Ehepaar Marita Krauss und Erich Kasberger zum Thema Nationalsozialismus im Ort recherchiert. Sie haben Zeitzeugen interviewt und in Archiven geforscht. Feldafinger Bürger stellten den Wissenschaftlern Material und zahlreiche Erinnerungsfotos zur Verfügung, wie etwa Eberhard Brubacher aus dem Nachlass des Nazi-Ortsgruppenleiters Heinrich Brubacher.

Herausgekommen ist das Buch „Traum und Albtraum – Feldafing im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit“, in dem die Forschungen der Historiker auf 503 Seiten zusammengefasst sind.

Wie war das damals? Mit Blick auf Feldafing ist diese Frage auch von überregionaler Bedeutung. Denn in dem Dorf gab es die einzige Reichsschule der NSDAP in Deutschland, nach Kriegsende wurden auf dem Gelände die KZ-Überlebenden untergebracht. Im Auffanglager für die „Displaced Persons“ (DPs) lebten zeitweise bis zu 6000 Menschen. Die Camp-Bewohner machten sich wieder Hoffnung auf ein besseres Leben: Es gab Hochzeiten, und bis zur Auflösung des Lagers wurden 765 Babys geboren. Die DPs seien nach Feldafing gestürmt, „als wäre es der Himmel, nachdem sie von der Hölle befreit wurden“, schreibt der Camp-Kommandant Irving Smith.

Wie Erich Kasberger bei der Vorstellung des Buches ausführte, wurde die Reichsschule der NSDAP schon 1934 eröffnet. „Es sollte eine Schule der Partei werden.“ Die Reichsschule ist allerdings nicht zu verwechseln mit den Napola-Schulen, die 1933 nach dem Vorbild der Kadettenschulen überall in Deutschland gegründet worden waren. Zwar handelte es sich dabei ebenfalls um nationalsozialistische Lehranstalten mit militärischem Drill. Doch die Reichsschule nahm eine Sonderstellung ein. Gleich zu Beginn hatten rund 6000 Eltern aus ganz Deutschland Bewerbungen für ihre Kinder geschickt.

Marita Krauss und Erich Kasberger bei der Vorstellung ihres Buches.
Marita Krauss und Erich Kasberger bei der Vorstellung ihres Buches. (Foto: Nila Thiel)

Die Schule war selbständig, der damalige Schulleiter Julius Goerlitz konnte die Lehrer selbst auswählen. Geld spielte offenbar keine Rolle. Die NSDAP stellte großzügige Mittel bereit, um die ideologische Indoktrinierung der Schüler zu finanzieren. Es gab weder Lehrpläne noch Zeugnisse, sondern lediglich Worturteile. Darin wurden sportliche Leistungen, Veranlagung, Charakter und Persönlichkeit beurteilt; die schulischen Leistungen kamen erst an dritter Stelle. Der Unterricht dauerte zehn Stunden täglich.

Es gab viele Sportangebote – Tennis, Segeln oder Hockey – und Projektunterricht. Es wurden Reisen ins Ausland angeboten, die Schüler bekamen Freikarten für Museums-, Theater- und Opernbesuche in München. Es gab aber auch militärischen Drill mit Marschgesang, Trommeln und Fanfaren. Die Schüler sollten zur künftigen Offizierselite erzogen werden und trugen von der Firma Lodenfrey geschneiderte Uniformen. „Für sportlich Begabte war es ein Kinderspiel“, erklärte Kasberger. Die weniger Sportlichen allerdings hatten es nicht leicht. Rund ein Drittel der Buben musste die Schule wieder verlassen.

Schüler einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (NPEA) beim Morgenmarsch in der Umgebung von Feldafing am Starnberger See. Im Ort selbst gab es mit der Reichsschule eine andere NS-Einrichtung.
Schüler einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (NPEA) beim Morgenmarsch in der Umgebung von Feldafing am Starnberger See. Im Ort selbst gab es mit der Reichsschule eine andere NS-Einrichtung. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Lehrer pflegten ein eher familiäres Verhältnis zu ihren Schülern: eine Art Familienersatz in einer Wohn- und Lebensgemeinschaft. In dieser „Jung-Mann-Gemeinschaft“ seien Eltern nicht mehr erwünscht gewesen, so Kasberger. Den Schülern gefiel dieses Leben offenbar. Wie die Historiker im Gespräch mit inzwischen mehr als 90 Jahre alten, ehemaligen Reichsschülern feststellen konnten, waren ihre Erinnerungen durchwegs positiv. Der Plan des NS-Regimes, Schüler für ihre menschenverachtende Ideologie zu gewinnen, scheint also aufgegangen zu sein.

SA-Chef Ernst Röhm in Feldafing bei Einweihung der Reichsschule: Im Kabinett Hitler fungierte Röhm 1933/34 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Unter dem Vorwand, einem von ihm angezettelten Putsch zuvorgekommen zu sein, ließ Adolf Hitler Röhm 1934 ermorden.
SA-Chef Ernst Röhm in Feldafing bei Einweihung der Reichsschule: Im Kabinett Hitler fungierte Röhm 1933/34 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Unter dem Vorwand, einem von ihm angezettelten Putsch zuvorgekommen zu sein, ließ Adolf Hitler Röhm 1934 ermorden. (Foto: privat)

Vom 29. April 1945 an wurden Überlebende aus dem KZ-Zug aus Tutzing und Seeshaupt in die Sturmblockhäuser sowie die Villen der ehemaligen Reichsschule einquartiert. Später kamen auch DPs aus anderen Regionen hinzu. Unterdessen wurden 40 Villen in Feldafing von den Besatzern beschlagnahmt, die Betroffenen mussten sehen, ob sie in Wieling oder Traubing unterkamen. Während ihrer Abwesenheit wurde ihr Besitz teilweise geplündert oder zerstört.

„Es war eine Wild-West-Situation“, erklärte Krauss. „Es fand eine große Umschichtung statt“, heißt es in dem Buch, das auf großes Interesse stößt – auch über die Gemeindegrenzen hinaus. Mit etwa 150 Besuchern war der Feldafinger Rathaussaal bei der offiziellen Buchpräsentation brechend voll. Krauss und Kasberger schreiben: „Nun unterstützten die Besatzer und die internationalen Hilfsorganisationen die ehemals Verfolgten, wohingegen viele NS-Täter mit erstaunlicher Geschwindigkeit vom amerikanischen CIC (Counter Intelligence Corps) gefunden, verhaftet und interniert wurden.“

Wie sehr damals die Gegensätze aufeinanderprallten, zeigen Schriftstücke und Protokolle von Einheimischen und Juden, die Krauss und Kasberger vorlasen. „DPs waren eben die Fremden, vor denen man Angst hatte, denen man sich hilflos ausgesetzt fühlte“, schreiben die Historiker. Zwar habe sich die Furcht allmählich gelegt, es gab auch engere Beziehungen. Doch nach Angaben der Forscher war der Traum der einen zum Albtraum der anderen geworden.

Viele der DPs wollten in die USA oder nach Palästina auswandern. Doch das Camp war mehr als ein Wartesaal auf dem Weg zur Auswanderung. Es entstand „eine Gemeinschaft der Überlebenden“. Es wurden religiöse Feiertage gepflegt, es gab Schulen und Sportvereine, darunter einen Boxclub, aber auch Handwerker und Barbiere. Sogar eine eigene Währung, den Feldafing-Dollar, und eine Camp-Zeitung gab es. Die Historiker ließen sie übersetzen und haben die Unterlagen dem Gemeindearchiv übergeben.

Das Buch „Traum und Albtraum“ von Marita Krauss und Erich Kasberger kann im Volk-Verlag München bestellt werden und ist bei der Gemeinde, in der Gemeindebücherei und im Buchhandel erhältlich.

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