79 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Forschungen zur Nazi-Vergangenheit und zur Nachkriegszeit in Feldafing abgeschlossen. Vier Jahre lang hat das Historiker-Ehepaar Marita Krauss und Erich Kasberger an dem Buch „Feldafing und der Nationalsozialismus – Traum und Albtraum“ gearbeitet. Nun ist es fertig. Allerdings muss das gewichtige, etwa 500 Seiten umfassende Werk noch gedruckt werden. Das Buch kann beim Verlag aber vorbestellt oder von Dienstag, 12. November, an gekauft werden, wenn es von 19 Uhr an im Café Rosalie im Feldafinger Rathaus vorgestellt wird. Auch in der Gemeindebücherei und in der Villa Waldberta sind Veranstaltungen geplant.
In der jüngsten Sitzung informierte das Historiker-Ehepaar den Gemeinderat über seine Arbeit. Demnach haben die Forschungen zum Buch weit über die Feldafinger Grenzen hinaus Aufsehen erregt, sodass zum 80. Jahrestag nach Kriegsende im kommenden Jahr auch in München mehrere Informationsveranstaltungen geplant sind, darunter beispielsweise im Jüdischen Museum oder im Werkraumtheater. Sogar ein Theaterstück auf Basis des Buches soll aufgeführt werden.
Feldafing nimmt bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit eine Sonderstellung ein, da in der Gemeinde am Starnberger See die einzige Reichsschule im Deutschen Reich untergebracht war. Es handelte sich um eine Eliteschule mit 200 Lehrern und etwa 400 Schülern, die aus ganz Deutschland kamen. Fotos zeigen Schüler und Lehrer mit nacktem Oberkörper, die in einer Reihe stehen. Wie Kasberger erläuterte, war für die Nazis „der Körper das Maß aller Dinge“. In den Zeugnissen seien Kommentare verfasst worden wie „gut gewachsen“, „groß“ oder „gesund“. Die Leistung sei in den Beurteilungen erst an dritter Stelle erschienen. „Paramilitärische Erziehung ist das Vorbild“, so Kasberger.
Nicht zuletzt wegen der zahlreichen Lehrer und Mitarbeiter der Reichsschule erhielt die NSDAP ungewöhnlich viele Wählerstimmen. Doch Krauss verwehrt sich gegen die weitverbreitete Meinung, dass Feldafinger Bürger pauschal Nazis gewesen seien. „Feldafing ist nicht schuld. Feldafing war gezwungen, sich anzupassen“, betonte sie. Dennoch sei es einigen Feldafingern nicht leicht gefallen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und Fotos oder Nachlässe aus dieser Zeit zur Verfügung zu stellen, wie beispielsweise zwei der Kinder des damaligen Ortsgruppenleiters. Diesen Feldafingern dankte das Historiker-Paar besonders.

Nach dem Krieg wurde in den acht Sturmblockhäusern, die heute unter Denkmalschutz stehen, ein DP-Camp eingerichtet, also ein Auffanglager für sogenannte „Displaced Persons“. Von 1945 an lebten dort bis zu 6000 Juden. Auch darüber gibt es viele Unterlagen und Fotos, die zeigen, dass die Camp-Bewohner, die oft keine Angehörigen mehr hatten, wieder auf eine gute Zukunft hofften, etwa in Israel oder in den USA. Laut Krauss soll das Buch dazu führen, hinter die Erlebnisperspektive der Reichsschullehrer, aber auch der DPs zu schauen, die Feldafinger Bürger zum Nachdenken anregen und dazu, miteinander Gespräche zu führen.
Die Forscher dankten der Gemeinde Feldafing, die den Mut gefunden habe, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, sowie der Gemeindearchivarin Martina Graeve, die sie sehr unterstützt habe. Zum Dank bekommt das Archiv alle Unterlagen und Nachlässe der Historiker.
Bürgermeister Bernhard Sontheim sah es als Pflicht der Gemeinde an, dieses Buch in Auftrag zu geben. „Wir haben die Verantwortung, uns unserer Geschichte zu stellen“, betonte er. Der Rathauschef zeigte sich überzeugt, dass sich auch die Bundesrepublik ihrer großen Verantwortung stellen müsse und der Gemeinde wenigstens eines der acht Sturmblockhäuser als Begegnungsstätte zur Verfügung stellen sollte. Auf dem Areal der denkmalgeschützten Gebäude ist seit den 1950er-Jahren die Kaserne der Bundeswehr untergebracht.