Als die Amerikaner am 1. Juni 1945 die Geschäfte als Militärregierung übernahmen, zogen die Franzosen wieder ab. Die französischen Alliierten waren nur knapp vier Wochen lang in Feldafing. Sie waren am 1. Mai über Utting und Dießen bis ans Westufer des Starnberger Sees vorgedrungen und blieben bis zum 26. Mai – und es eilte ihnen ein schlechter Ruf voraus. „Sie plünderten, vergewaltigten und erschossen ohne viel Federlesens Leute, die sie verdächtigten“, schreiben die Historiker Marita Krauss und Erich Kasberger in ihrem Buch „Traum und Albtraum – Feldafing im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit“.
Niemand in Feldafing war vor den Raubzügen der französischen Truppen sicher, die zu 80 Prozent aus nordafrikanischen Kolonialfranzosen bestanden. Denunziationen kosteten einige Bürger das Leben. „Es waren bewaffnete Rotten unterwegs, die sich Zutritt zu den Häusern verschafften, die Bewohner mit Waffengewalt in Schach hielten, während die Übrigen alles hinaustrugen, was sie brauchen konnten“, schreiben die Historiker im Kapitel „Mai 1945: Die Franzosen am Westufer des Starnberger Sees“. Im Gästebuch des Feldafinger Clubhauses von Georg („Bino“) Siedhoff steht „tuer“: Das Motto „tötet sie“ war nach Angaben des Autors, Kunstsammlers und Verlegers Lothar-Günther Buchheim sogar als Leitspruch auf ihren Uniformen zu sehen.

Buchheim, der wegen seiner Fremdsprachenkenntnisse als Dolmetscher und in der Übergangszeit kurzfristig sogar als Polizeichef eingesetzt worden war, schreibt dazu: „Diese französischen Panzerfritzen hatten ein Ärmelschild mit der eingestickten Parole ‚en tuer‘, was man ja wohl schlicht mit ‚sie umbringen‘ übersetzen kann.“ Verbrechen der alliierten Soldaten in Deutschland konnten jedoch nicht verfolgt werden. Wie in einem Handbuch für französische Offiziere vom März 1945 nachzulesen ist, konnten sie ohne die Einwilligung der jeweiligen Militärkommandanten weder vor ein deutsches Gericht noch vor eine andere deutsche Autorität zitiert werden.
Lothar-Günther Buchheim hat in dieser Zeit eine äußerst unrühmliche Rolle gespielt. Er hat sein Amt als Polizeichef nicht gerade zugunsten der Dorfbewohner ausgeübt. Ameli von Alvensleben etwa berichtet in ihren Erinnerungen davon, dass sie und ihre beiden Schwestern von französischen Soldaten vergewaltigt wurden. Als sie beim damaligen Polizeichef Buchheim Anzeige erstatten wollte, soll er gesagt haben: „Vergewaltigt worden – wenn ich das schon höre. Jeden Tag kommen Frauen angelaufen, die vergewaltigt worden sein wollen. Das sind Hirngespinste.“ Nur, wenn die Frauen einen Nachweis erbringen könnten, dass sie misshandelt worden seien, sehe die Sache anders aus – das werde bestraft. „Aber da wohl keine von uns Spuren einer Misshandlung vorweisen könne, komme er zu dem Schluss, dass wir uns das alles nur einbilden“, erinnert sich Alvensleben an Buchheims Reaktion. „Das machte uns sprachlos.“


Wie Alvensleben in ihren Memoiren weiter berichtet, hatte sie Buchheim Jahre später auf einer Filmpremiere getroffen und ihn auf die damaligen Vorfälle angesprochen. Daraufhin habe er zu ihrem Ehemann gesagt: „Was 45 in Feldafing los war, haben Sie ja nicht erlebt. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, vor allem Geschichten von ihrer Frau … da würden Ihnen die Haare zu Berge stehen. Aber das lass’ ich lieber.“
Während diese überlieferten Geschichten nach Angaben der Historiker Krauss und Kasberger Lothar-Günther Buchheim als unempathischen Machtmenschen zeigen, stellte er sich selbst derweil als Kriegshelden dar, der ungerecht behandelt worden sei. In seinen Nachkriegserinnerungen schreibt Buchheim, er sei „ganz schön zwischen den Stühlen“ gesessen. Buchheim war zwar selbst kein NSDAP-Mitglied, aber er war seit 1940 Kriegsberichterstatter, der seine Artikel und Zeichnungen in auflagenstarken NS-Publikationsorganen veröffentlichte. Ab Februar 1943 hielt er sich hauptsächlich in Feldafing auf, da er nur wochenweise zu Einsätzen beordert wurde.
„Lothar-Günther Buchheim nahm seine Rolle innerhalb der NS-Propaganda ebenso an wie er sich nach 1945 als Elitekrieger stilisierte“, heißt es in dem Buch. Er war von den Franzosen als Polizeichef eingesetzt und später von den Amerikanern in diesem Amt übernommen worden. Als er amerikanische Soldaten ins Feldafinger Clubhaus einquartieren sollte, wollte er die dort lebende Familie Weiß mit vier Kindern und dem schwer verletzten Vater nach Gauting ausweisen. Da dort aber keine Wohnung aufzutreiben war, soll er zur verzweifelten Frau Weiß gesagt haben: „Schlafen Sie doch im Wald.“ Nach Ansicht der Amerikaner hatte Buchheim damit wohl den Bogen überspannt: Ende August 1945 wurde er verhaftet, als Polizeichef abgesetzt und kam für mehrere Monate ins Gefängnis.
Buchheim selbst indes erzählt über seine Rolle in Feldafing eine andere Geschichte: Als der damalige US-Besatzungschef Captain Patterson bekannte Nazis auf einem offenen Truck durch die Gegend fahren ließ, sei er dafür verantwortlich gemacht worden, schreibt Buchheim. Obwohl er nichts dafür gekonnt habe, hätte er sich dafür weiterhin Verunglimpfungen anhören müssen. Über ihn seien „die verrücktesten Gerüchte in Umlauf gebracht worden, groteske Gerüchte, an Absurdität nicht zu überbieten.“ In diesem Zusammenhang war er auch beschuldigt worden, er habe als Polizeichef Kunstwerke konfisziert. Zweifel über die rechtmäßige Herkunft einzelner Bilder aus der Buchheim-Sammlung bestehen bis heute.

Als Buchheim aus dem Gefängnis kam, lebte er wieder in Feldafing. Doch das Verhältnis zu den Einheimischen blieb die gesamten 60 Jahre, die er im Ort lebte, angespannt. „Die Struktur in Feldafing ist durch und durch krank“, schreibt Buchheim. Die Reichsschule wirke nach wie vor als Infektionsherd. „Wenn ich es mir recht überlege, habe ich eigentlich hier nie unter den Nazis gelitten, sondern unter den Feldafingern.“
Ein Höhepunkt, der die gegenseitige Abneigung zeigte, war 1997 die Auseinandersetzung um den Bau des Buchheim-Museums. Buchheim bezeichnete damals die Feldafinger laut den Buchautoren Kraus und Kasberger als „Gully-Ratten“. Grund für diese Schmähung: Die Feldafinger hatten sein Vorhaben per Bürgerentscheid abgelehnt. Das Buchheim-Museum wurde stattdessen in Bernried gebaut.
Marita Krauss und Erich Kasberger halten am Mittwoch, 11. Dezember (18 Uhr), im Feldafinger Café Rosalie am Bahnhofsplatz 1 einen Vortrag zum Thema „Feldafinger Identitäten: Dorfbewohner, Reichsschüler, DPs“.