Süddeutsche Zeitung

Mathis Nitschke:Der Soundtüftler der Oper

Mathis Nitschke hat zwei in Montpellier uraufgeführte Opern geschrieben, entspricht aber keineswegs dem Klischee des weltfremden Tonsetzers. Der 42-Jährige, der in Feldafing aufwuchs, ist Soundtüftler und Technikfreak.

Von Gerhard Summer, Feldafing

Ja gut, die Sache mit der Schule muss man jetzt auch nicht überdramatisieren. Mathis Nitschke, der spätere Opernkomponist und Soundtüftler, war acht oder neun, als seine Eltern auf Wohnungssuche gingen. Er war "sehr behütet" in München- Nymphenburg aufgewachsen, doch der Vermieter kündigte der Familie wegen Eigenbedarfs. Erst kamen die Nitschkes in Haidhausen unter in einem Betonklotz, dann bauten sie ein Haus in Feldafing. Und Mathis Nitschke musste zum Ende der fünften Klasse vom vergleichsweise modernen Münchner Maria-Theresia- aufs Tutzinger Gymnasium wechseln.

Für ihn war das schlimm, er blieb über Jahre hinweg der Außenseiter. Oder wie er unverblümt sagt: "Der Arsch der Klasse". Aber das Ganze hatte auch sein Gutes: Nitschke fand einen "großartigen Gitarrenlehrer", Alexander Schriefer. Er lernte den Pianisten Michael Kullack kennen, der heute noch sein Tonstudio in Berg betreibt, und lötete mit ihm nächtelang Kabel. Und später schloss er an der Schule Freundschaft mit Urs Schönebaum, der inzwischen einer der bekanntesten europäischen Lichtdesigner ist und unter anderem für den Theaternomaden Robert Wilson arbeitete.

Schöne Sache, doch davon kann keiner abbeißen

Mit der Gruppe "Tragaudion" brachten die beiden 1992 Tankred Dorsts "Merlin oder Das wüste Land" in der alten Turnhalle Feldafing raus. Und genau zwei Jahrzehnte später arbeiten sie wieder zusammen, diesmal an der Opéra National de Montpellier. Ende November 2012 feierte dort "Jetzt" Uraufführung, 2014 folge "Happy Happy". Schönebaum übernahm die Regie, Nitschke komponierte die Musik und schrieb auch das Libretto für das zweite Stück.

Beides waren Publikumserfolge, aber wie das so ist: Schöne Sache, doch davon kann keiner abbeißen. Denn auch Erfolge verschwinden in der Versenkung, weil andere Opernhäuser sich gern selbst mit Uraufführungen schmücken, für die es Zuschüsse gibt, und nicht Wiederholungen aufs Programm setzen wollen. Immerhin: "Jetzt" wurde bei einer Kritikerumfrage der Fachzeitschrift Opernwelt als "Aufführung des Jahres" nominiert.

Nitschke war der Außenseiter in der Schule, und er ist es im positiven Sinn als Komponist geblieben. Der 42-Jährige versteht sich mehr als DJ, als Sammler und Jäger, der Zitat an Zitat reiht. Sagt er. Tatsächlich ist das stark untertrieben. Denn Nitschke schreibt mitreißende, seelenvolle Musik, die sich elegant an der Nahtstelle von Tradition und elektronischer Avantgarde festsetzt.

Richtig ist zumindest, dass er dem Klischee des technisch unbedarften Komponisten, der nächtelang über seinen mit Bleistift gekritzelten Partituren brütet, nicht im mindesten entspricht. Denn der Tonmeister Nitschke ist Technikfreak, das hat er vielleicht vom Vater, einem Ingenieur, und einer der letzten treuen Fans des schon wieder vergessenen Surround-Sounds.

Liebe für Literatur vereint mit politischem Denken

Und in seinen Opern kommt zweierlei zusammen: die wahrscheinlich von der Mutter geerbte Liebe für die Literatur und das politische Denken. Sowohl "Jetzt" als auch "Happy Happy" beziehen nämlich Position und sind starke Statements in Zeiten der Resignation und der wachsweichen Stellungnahmen. Sie kreisen, mal verschlüsselt, mal klar, um ein Lebensgefühl, das jeder kennen dürfte: dass man auf der Stelle läuft und kaum vorankommt und dass so gut wie nichts gegen die großen Dramen der Welt auszurichten ist, gegen Finanzhaie, Umweltkatastrophen, Klimawandel.

Nitschke und der Landkreis Starnberg, das war anfangs eher eine Kollision, aber die Verbindung ist nie abgerissen. Der Kunst- und Museumsverein Starberger See gehört nämlich zu den frühen Förderern des jungen Komponisten. Das hat damit zu tun, dass Nitschkes Mutter, eine literarische Übersetzerin, Mitglied in der Vereinigung ist. Andererseits ist der Verein aber auch von der Arbeit des Soundtüftlers überzeugt.

Mit seiner finanziellen Unterstützung konnte Nitschke, der eine alte Vorliebe für Astor Piazzolla hat, im September 2010 das Tangoprojekt mit dem kühnen Titel "Anthropogen gestörter Wuchsplatz" realisieren. Uraufführung war in Starnberg, tags darauf folgte ein Konzert in der Münchner Unterfahrt.

Zuletzt waren die beiden Nitschke-Opern als Filme in Starnberg zu sehen. Dadurch sind auch Kinochef Matthias Helwig, der Erfinder des renommierten Fünfseen-Filmfestivals, und der Intendant der Oper in Starnberg, Andreas Sczygiol, auf den jungen Konzeptkünstler und Komponisten aus München aufmerksam geworden. Helwig verpflichtete Mathis Nitschke gleich als Juror der Festivaljury 2016. Und mit Sczygiol könnte sich eine Zusammenarbeit anbahnen. Ja gut, sicher ist das leider noch nicht.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2016
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