Süddeutsche Zeitung

Klassik in Feldafing:Mozarts Mut und rhythmischer Rap

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Als Mahnung zu Toleranz, Humanität und Gerechtigkeit findet in der Heilig-Kreuz-Kirche ein außergewöhnliches Konzert statt.

Von Reinhard Palmer, Feldafing

Mozart hatte in seiner "Vesperae Solennes de Confessore" (KV 339) auch schon auf die Chromatik zur Feindifferenzierung der Stimmungen gesetzt, denen die Chorgemeinschaft Pöcking vom ersten Ton an entschieden zu folgen vermochte. Klar exponiert sogleich zu Beginn im "Dixit" nach einer feierlichen Eröffnung. Hätte Norbert Groh am Pult zuerst das Oratorium "A Child of our Time" des Briten Michael Tippett (1905 - 1998) aufgeführt, wäre Mozarts Wagemut wohl deutlicher zum Vorschein getreten. In der chronologischen Reihenfolge half indes Mozart im Programm der Aufführung in der Heilig-Kreuz-Kirche Feldafing, Tippetts Formensprache der Moderne mit ihrer reich differenzierten emotionalen Ausgestaltung gut vorbereitet zu begegnen.

Im Original ist die Versperae Mozarts mit Bläsern ausgestattet, aber auch in der Streicherfassung vermochte das Kammerorchester Stringendo deutlich auf die Eigenständigkeit des instrumentalen Parts zu verweisen. Auch das eine Verbindung zu Tippett, dessen 1944 uraufgeführtes Werk sich hier mit dem vom Airbus Orchester München erweitertem Instrumentarium für symphonische Momente gut gerüstet zeigte. Das ging weit über Mozarts Kühnheit hinaus, zumal auch die Choristen über sich hinauswuchsen und sorgsam austarierte Gänsehaut-Tutti schmetterten. Die anderen Gänsehautmomente gehörten den Solisten, die in beiden Werken immer wieder zwischen narrativen und dramatischen Einsätzen auch klangschöne Lyrik entfalteten - allen voran Sopranistin Laura Richter in Mozarts "Laudate Dominum", vom Chor wunderbar mitgetragen. Dazu erwiesen sich Alisa Milosevic (Sopran) und Laure Cazin (Alt), Markus Brandmair (Tenor) und Niklas Mallmann (Bass) absolut stimmig ausgewählt, was das wohlige Klangbild überaus ästhetisch abrundete.

Man wächst mit den Aufgaben: So das Fazit der kurzen Ansprache Grohs. Tippetts "zentrales Stück des 20. Jahrhunderts" sei im Grunde zu schwierig für Laien. Aber diese Herausforderung mobilisierte offenbar den Ehrgeiz der Mitwirkenden. Eine Abiturientenklasse des Tutzinger Gymnasiums setzte sich ebenfalls mit dem Werk auseinander und steuerte ungeplant gesprochene Texte in Englisch sowie in Deutsch bei. Rhythmisch gesprochen, solistisch und in Ensembles, verdeutlichte es im Grunde als Rap die sprachliche Musikalität, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Musik eine große Bedeutung beigemessen wird. Wem diese Performance zu viel war, der möge sich nicht über fehlendes kulturelles Interesse der Jugend beschweren. Auch wenn der Fokus vor allem auf den Texten lag, die auf poetische Weise die Sorgen und Nöte der heutigen Zeit ansprechen.

"Die Dunkelheit kündet von der Herrlichkeit des Lichts", schrieb Tippett

"Mahnung zu Toleranz, Humanität und Gerechtigkeit" nennt die Einführung das Werk im Programmheft. Werte, um die gegenwärtig vielerorts in der Welt gekämpft werden muss. In der sprachlichen Ausdrucksweise stehen diese Texte den von Mozart vertonten Psalmen sicher in nichts nach: Erheben sie sich doch weit übers Politische hinaus ins Philosophische, zum Prinzip der den Menschen innewohnenden Dualität zwischen Gut und Böse hin. "Die Dunkelheit kündet von der Herrlichkeit des Lichts", schrieb Tippett einst. Das dazwischen noch viele Schattierungen liegen, davon kündet die Musik, die mit fünf populären Spirituals - auch das waren große Gänsehautmomente im Konzert, vor allem mit "Deep River" als Finale - einen viel weiteren Bogen der Geschichte der menschlichen Grausamkeit anlegt.

Angesichts der zeitgleich geschehenen und im Oratorium thematisierten Gräueltaten der Nazis das Leid der schwarzen Sklaven ins Spiel zu bringen, war sicher kein Zufall. "Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein" (Joh 8,3-11) scheint hier impliziert. All diese Feinheiten hörbar zu machen, war nicht zu erwarten, doch die sorgfältige Ausarbeitung der Stimmungen, der inhaltlichen Wendungen, der kraftlosen Resignationen wie triumphierenden Einlagen der Versöhnung überzeugte in Feldafing.

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