Vintage-Tonstudio in Feldafing:Platten aufnehmen wie Elvis Presley

Feldafing: Moonshine Records : Christian Krüger

Christian Krüger in seinem Studio, das er "Moonshine Records" getauft hat.

(Foto: Nila Thiel)

Christian Krüger hat sich dem Sound der Fünfzigerjahre verschrieben und ein stilechtes Tonstudio geschaffen, das wie ein Museum wirkt.

Von Gerhard Summer

Der Chef mit Rockabilly-Tolle hört nicht nur die Flöhe husten, er kann auch sagen, ob sie sich verschluckt oder ob sie's an den Bronchien haben. Christian Krüger, 47, sitzt auf dem Boden und spielt ein paar Songs vor. Alle sind in seinem Feldafinger Tonstudio entstanden, dieser Mischung aus Fünfzigerjahre-Schatzkammer, Museumsabteilung und uraltem Musikhauslager. Aufnahmen einer Band aus Schweden zum Beispiel, die psychedelischen Rock im Stil der Doors macht. Oder doch eher: kopiert. Bald ein bisschen Blues, okay, die Gitarre war nicht ideal gestimmt. Dann eine eigene Aufnahme, Krügers Version von Dave Dudleys "Truck Driving Man", leider mit Taktfehler. Ob das jemand merkt außer ihm? Am Ende noch ein Wolfgang Lackerschmid und danach eine Stradivari, eingefangen mit einem Mikro von 1930. Zu beiden fällt Krüger, dem Perfektionisten, nichts Kritisches ein. Puh!

Der Industriekaufmann und Raumausstatter hat das meiste in den USA gekauft

Und dieser Klang rechtfertigt also den irrwitzigen Aufwand, zehn Jahre besessene Sammelei, nächtelanges Recherchieren und Stöbern im Internet? Das viele Geld, das Krügers historisches High-End-Equipment gekostet hat? Wahrscheinlich schon. Alle Aufnahmen sind mono und kommen ohne Schnickschnack aus. Aber alles klingt warm und fett, in den Mitten farbig, in den Höhen sanft. Und so pur und räumlich fein gestaffelt, als stünden die Bands, die in Feldafing zu Gast waren, noch im Raum und spielten in Zimmerlautstärke. Ob nun der Vibrafonist Lackerschmid, der mit dem Trompeter Chet Baker zusammengearbeitet hat, oder die Country-Amateurgruppe.

Seine Kunden kauften ein "Sounderlebnis", sagt der Mann, der sich auf die Klangexpedition in die Fünfziger versteht. Aber Voraussetzung sei, dass die Singer-Songwriter oder Bluesbands ihr Metier beherrschen und ohne Schnitzer durch die Songs kommen. Denn: "Bei mir hörst du alles, ich bilde schon die Wahrheit ab." Und hinterher gibt es keine Chance, Fehler zu korrigieren, das Ganze geht vom Mischpult auf die Viertel-Zoll-Tapes eines Tonbandgeräts. Fast so wie einst in Amerika. Nein, genau so.

"Moonshine Records" hat Christian Krüger sein kleines Tonstudio im Untergeschoss einer Feldafinger Villa genannt, ein Freund brachte ihn auf die Idee. Der Name soll signalisieren, dass es um ein Pendant zum legendären Sun Studio an der 706 Union Avenue in Memphis geht, das so etwas wie die Wiege des Rockabilly und Rock'n'Roll war und auch die Country- und Bluesmusiker anzog. B.B. King und Elvis Presley nahmen dort auf, Johnny Cash und Roy Orbison. Sein Studio sei genauso gut ausgestattet wie das Unternehmen des vormaligen Radiomoderators und Discjockeys Sam Phillips, sagt Krüger. Ein kurzes Zögern: "fast noch besser". Und außerdem einzigartig in Deutschland.

Wer Krügers Reich betritt, landet mitten im Amerika der Fünfziger. Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, dass der Mann von hier aus auch Mondraketen steuert. Im Regieraum mit On-Air-Schild stehen zwei kühlschrankhohe Türme mit Vorverstärkern, Limiter und Bandmaschinen im Tresorformat. Dazu ein kleines schwarzes Mischpult mit Bakelitknöpfen und Dezibelmeter und ein mobiler Schallplatten-Schneider, der aussieht, als hätten sich Insekt und Plattenspieler gekreuzt.

An den Galgen von Stativen hängen wie große Briketts Bändchenmikros, die ihren Namen hauchdünnen Alustreifen im Inneren verdanken. Und an der Wand ist eine Heldengalerie in Schwarzweiß zu besichtigen: Fotos von Musikern wie Tennessee Ernie Ford, Carl Perkins, Ray Price und Little Jimmy Dickens und Texas Bill Strength, viele mit originalen Autogrammen. Wo sich sonst die Bands aufstellen, herrscht malerisches Durcheinander. Zwischen Couch, schwarzem Schreibschrank und Kommode aus dem Wiener Empire finden sich ein Kontrabass, ein Drum-Set von Radio Kings und vor allem jede Menge Amps und abgewetzte Koffer mit Gitarren. Alles aus den Fünfzigern oder aus noch früheren Tagen, versteht sich.

Feldafing: Moonshine Records : Christian Krüger

Der 47-Jährige sammelt alte Musikgeräte wie diesen Plattenspieler, die er aufwendig restauriert.

(Foto: Nila Thiel)

Die Verstärker, wie sie Django Reinhardt und Luther Perkins spielten, der Gitarrist von Cash? Das Gibson-Modell des Jazzers Charlie Christian? Die Pedal-Steel von 1958, die der Vorbesitzer unters Bett schob, nachdem er zwei Mal drauf herumgezirpt hatte, samt Original-Schraubenzieher fürs Tuning? Krüger hat sie und noch viel mehr: Originalschallplatten aus den Fünfzigern etwa, noch eingeschweißte Recording-Tapes aus Regierungsbeständen von 1958, ein Walkie-Talkie, wie es NBC-Reporter benutzten, und ein Arsenal an originalen alten Röhren. Und über all dem schwebt hell eine Kugellampe, als wär's der Vollmond. Modell "Kokon für 30 Euro", sagt Krüger trocken.

Wer Vintage-Sachen schätzt, liegt jetzt schon verzückt auf den Knien. Aber das Schönste ist: All die röhrengetriebenen Verstärker, Preamps, Plattenspieler und die Bändchen- und Pillenmikros von RCA (Radio Corporation of America) sind nicht nur original, sondern funktionieren auch tadellos. Der 47-jährige Inhaber des Tonstudios hat die ganze Ausstattung, die sein Wohnzimmer füllt, aus den USA zusammengekauft. Früher schlug er schon mal bei Ebay zu, heute setzt er auf Pfandhäuser und Radiofreaks. Und beschäftigt einen eigenen Techniker, den Bluesmusiker Thomas Klees, der die alten Stücke mit Originalteilen restauriert. Denn am liebsten kauft Krüger "Schrott". Dabei war er noch nie in den USA und kennt das legendäre Sun Studio nur von Fotos her. "Ich fliege nicht so gern", sagt er. "Und ich habe ein Bild im Kopf, wenn ich dort bin, könnte es sein: Ich bin überwältigt - oder total enttäuscht".

Krüger kommt aus Oldenburg bei Bremen. Er hat die Musik durch die Plattensammlung seines Vaters entdeckt, die der wiederum einem Freund verdankte, einem Piloten, der Alben aus den USA mitbrachte. Johnny Horton und Johnny Cash waren Christian Krügers erste Helden. Anfang der Neunzigerjahre zog die Familie nach München um, mit 15 spielte der Junge in einer Rockabilly-Band. Beruflich schlug der Einzelgänger aber eine andere Laufbahn ein. Er absolvierte zwei Ausbildungen: zum Industriekaufmann und zum Raumausstatter. Seine Handelsagentur laufe gut, sagt er, "davon lebe ich auch, da bin ich erfolgreich".

Aber die Musik und vor allem die Frage, warum Cash auf den alten Platten "so klingt, wie er klingt", ließ den Sammler und Bastler nicht los, der Art Deco, Klassizismus und den Industriedesigner John Vassos liebt. 2016 machte Krüger in München sein "Moonshine-Studio" auf, seit 2018 müssen Musiker, die wie Cash oder Nat King Cole klingen wollen, nach Feldafing pilgern. Krüger bewegt sich in einer winzigen Nische, klar. Sogar konventionelle Tonstudios, die oft auf eine Mischung aus analogem und digitalem Sound setzen, kämpfen längst ums Überleben, denn heutzutage kann jeder, der einen Computer, ein Mikro und ein Interface hat, seine Songideen verewigen. Aber den Studiochef, der selbst ausgezeichnet singt und Gitarre spielt, dazu Kontrabass, ficht das nicht an: "Das Produkt, das ich hier anbiete, das gibt's nur einmal", sagt er. Und: "Wenn ich meiner Linie nicht treu bin, dann bin ich einer von vielen, die darum buhlen, vom Sound her was draufzusetzen".

"Mir macht das Spaß, das ist eine Art von Meditation."

Der Hüter der Museumsschätze, der selbst gern schraubt und schleift und gerade dabei ist, einen Plattenspieler von 1935 im Alugehäuse detailversessen zu restaurieren, hat auch so etwas wie eine Erklärung für seine Leidenschaft. "Ist es nicht was Besonderes, wenn man etwas hinterlässt, das einmal Wert hatte, Teil unserer Kultur war, für den Beginn des Rock'n'Roll steht und ohne das es weder die Beatles noch Michael Jackson gäbe?" Natürlich, "was ich mache, mach' ich 100 Prozent". Aber was heißt schon Perfektionist? "Mir macht das Spaß, das ist eine Art von Meditation."

Auch die Künstler, die bei ihm aufnehmen, müssen Puristen sein. An die 15 Bands dürften schon in seinem Wohnzimmer gesessen sein, doch wegen der Pandemie ist es still geworden in Feldafing: Die Musiker verkaufen ihre CDs in der Regel auf Konzerten, aber weil sie nicht mehr auftreten können, fehlt ihnen auch das nötige Kleingeld für die Produktion. Wobei Krüger im Übrigen faire Preise hat. Aufnahmen sind deshalb "auf unbestimmte Zeit ins nächste Jahr verlegt". Bald wird Krüger auch mit einem Mischpult von 1945 arbeiten, das Produktionen in Stereo und Multitrack-Aufnahmen ermöglicht. Was bedeutet, dass man die einzelnen Spuren am Ende bearbeiten kann, also ein Fehler nicht gleich die komplette Aufnahme ruiniert. Wobei der Inhaber von "Moonshine Records" für alle, die drei, vier Anläufe pro Song benötigen, ohnehin einen Trost parat hat: "Johnny Cash hat 27 Takes von 'I walk The Line' gebraucht."

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