Gedenken:Das vergessene Massengrab auf dem jüdischen Friedhof von Feldafing

Am Rande der Begräbnisstätte, die jetzt unter Denkmalschutz gestellt worden ist, sind Zwangsarbeiter bestattet worden. Wie sie ums Leben kamen, ist bislang unbekannt.

Von Katja Sebald

Kann ein Friedhof ein schöner Ort sein? Der jüdische Friedhof in Feldafing war bis vor kurzem ein wunderschöner, ein beinahe verwunschener Ort der Stille - obwohl er unauflöslich mit der NS-Geschichte des Orts verbunden ist: Er entstand in den Jahren zwischen 1945 und 1949, als sich auf dem Gelände der ehemaligen Reichsschule der NSDAP in Feldafing ein Camp für jüdische Displaced Persons (DPs) befand, also für durch den Holocaust entwurzelte Menschen. Auf dem Friedhof wurden weit mehr als hundert Menschen jüdischen Glaubens bestattet. Die meisten von ihnen waren ehemalige KZ-Häftlinge, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit an den Folgen des ihnen zugefügten Leids starben. Zeitweise lebten mehr als 6000 jüdische DPs in Feldafing. Die Überlebenden haben auf einem Mahnmal einen Fluch hinterlassen.

Feldafing, jüdischer Friedhof

Kleine, auf den vermoosten Gräbern abgelegte Steine haben heute nur noch symbolischen Wert.

(Foto: Georgine Treybal)

Wie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege auf Anfrage mitteilt, sei der Jüdische Friedhof in Feldafing ein bedeutendes Zeugnis für die Folgen des Vernichtungsregimes der NS-Zeit und deshalb kürzlich unter Denkmalschutz gestellt worden: Seine Erhaltung sei damit im Interesse der Allgemeinheit. Die ersten konkreten Aktionen bedeuteten jedoch einen Kahlschlag für diesen zuvor hinter üppig wucherndem Grün verborgenen Ort der Stille. Sie waren notwendig, um die Grabsteine wieder freizulegen. Eine riesige Waldrebe und einige armdicke Ahornbäume, die innerhalb der schmiedeeisernen Grabeinfassungen gewachsen waren, sind abgesägt worden. Auch die zwei mächtigen Thujen neben dem Mahnmal und eine Buchenhecke wurden radikal zurückgeschnitten.

Feldafing, jüdischer Friedhof

Die zum Segen erhobenen Hände auf einem Grabhaus zeigen an, dass hier ein Rabbiner bestattet worden ist.

(Foto: Georgine Treybal)

Die Auseinandersetzung über die Pflege der Gräberanlage durch die Gemeinde ist freilich beinahe so alt wie der Friedhof selbst. Bereits 1983 berichtete die Süddeutsche Zeitung darüber: "Arbeitet der Friedhofsgärtner zu sehr nach dem Vorbild der hierzulande üblichen Gottesacker, beschweren sich die Rabbiner der Kultusgemeinde, tut er weniger, beschweren sich die Bürger. . ."

Tatsächlich unterscheidet sich der jüdische Totenkult wesentlich vom christlichen Verständnis: Auf einem jüdischen Friedhof wird auf Blumenschmuck und prunkvolle Grabmäler verzichtet, denn es soll deutlich werden, dass im Tod alle gleich sind. Jeder Verstorbene wird separat beerdigt: So wird auf dem Friedhof auch ein armer Mann zum reichen Mann, denn er besitzt sein eigenes Stück Erde. Ein jüdischer Friedhof gilt als "Haus der Ewigkeit" und darf nicht aufgelöst werden. Die Angehörigen pflegen die Gräber aber nicht. Die kleinen Steine, die einer jahrtausendealten Tradition folgend bei jedem Besuch auf dem Grab abgelegt werden, haben heute eine nurmehr symbolische Bedeutung, ursprünglich aber beschwerte man mit den Steinen die Stelle des Grabes, damit Tiere den Leichnam nicht ausgraben.

In Feldafing finden sich viele Grabsteine, wie sie in osteuropäischen Ländern üblich sind. Es gibt lange Reihen schlichter, in den Boden eingelassener Steine ohne Namen, aber auch einige auffallend große und schöne Grabdenkmäler. Die beiden zum Segen erhobenen Hände auf einem der beiden Grabhäuser weisen darauf hin, dass hier ein Rabbiner bestattet wurde. Ein gebrochener Zweig symbolisiert das Ende eines jungen Lebens. Er ist auch auf drei Gräbern mit polnischer Inschrift zu sehen: Die Verstorbenen waren junge Mädchen, die bei einem Verkehrsunfall am 4. Oktober 1945 ums Leben kamen.

Feldafing, jüdischer Friedhof

Auf einer Gedenktafel wird an die Opfer der Nazis erinnert.

(Foto: Georgine Treybal)

Aus der von der Feldafinger Gemeindeverwaltung geführten Gräberliste geht hervor, dass insgesamt 112 Menschen auf dem jüdischen Friedhof beerdigt wurden. Als Todesursachen sind oft Entkräftung und Fleckfieber genannt, einmal auch Schädelbasisbruch. Von 26 Bestatteten sind keine Namen bekannt.

Völlig in Vergessenheit geraten ist ein Massengrab, das nur noch auf einem alten Plan zu sehen ist. Es befand sich in einer Ausbuchtung am nordwestlichen oberen Ende des Friedhofs, die heute Teil des Gemeindefriedhofs ist. Auf dem Lageplan ist es mit "Massengrab für K.Z.-Häftlinge/ Russische Kriegsgefangene" bezeichnet. Es dürfte sich dabei um Zwangsarbeiter gehandelt haben, die in Barackenlagern im Bereich der Thurn-und-Taxis-Straße und der heutigen Lennéstraße untergebracht und am Bau der sogenannten Sturmblockhäuser für die Reichsschule der NSDAP, heute Bundeswehr-Gelände, beteiligt waren.

Feldafing, jüdischer Friedhof

Ein "Haus der Ewigkeit": Auf dem jüdischenFriedhof in Feldafing sind Schmuck und Prunk tabu, die Angehörigen pflegen die Grabstellen auch nicht.

(Foto: Georgine Treybal)

Die Feldafinger Gemeindearchivarin Martina Graefe hat bislang keine Informationen zu dem Massengrab gefunden. Man kann davon ausgehen, dass 24 Menschen darin bestattet wurden, denn die Gemeinde Feldafing übernahm 1960 die Verwaltungspflicht für 136 Gräber. Offiziell als "KZ-Ehrenhain" eingeweiht wurde der jüdische Friedhof am 1. Oktober 1950 von Philipp Auerbach, dem Präsidenten des Landesentschädigungsamts. Am Ende des schmalen, rechteckigen und ursprünglich von einer Buchenhecke umfassten Erinnerungshains im Osten der terrassierten Friedhofsanlage steht der Gedenkstein mit der eingemeißelten Inschrift: "Die friede- und heimatlos nun ruhen in Abrahams Schoß".

Eine nachträglich angebrachte Metalltafel trägt auf Hebräisch und Deutsch die nicht ganz korrekte Aufschrift: "Hier ruhen unzählige Opfer jüdischen Glaubens. Sie wurden in den Jahren 1933 - 1945 durch Nazischergen ermordet." Im Hebräischen Text steht nach "Nazischergen" die Ergänzung: "Möge ihr Name ausgelöscht werden."

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