Der denkmalgeschützte jüdische Friedhof in Feldafing liegt am Hang mit Blick bis zu den Alpen. Es ist ruhig hier, nur das Brummen der Insekten ist zu hören, die die Wiesenblumen umschwärmen. Doch die Idylle trügt: Die Namen auf den Gräbern und Gedenksteinen sind nicht mehr zu lesen. Zahlreiche Grabsteine sind umgefallen oder zerbrochen, die Gedenksteine vom Gras überwuchert.
Knapp 80 Jahre, nachdem die ersten Gräber auf dem Areal entstanden sind, soll der jüdische Friedhof nun saniert werden. Nach Angaben der Bundestagsabgeordneten Carmen Wegge (SPD) und Michael Kießling (CSU) wurden 46 886 Euro an Fördermitteln aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm des Bundes zugesagt. Weitere 40 Prozent der auf insgesamt 100 000 Euro kalkulierten Kosten werden von Stiftungen übernommen, zehn Prozent trägt die Gemeinde. „Wir haben immer versucht, den Friedhof in Ordnung zu halten, aber wir wussten nicht, wie der Friedhof zu pflegen ist“, erklärt Bürgermeister Bernhard Sontheim.
Die Aussagen zur richtigen Pflege von jüdischen Grabstätten seien äußerst widersprüchlich. Man habe nichts falsch machen wollen. Daher ist der Rathauschef erleichtert, dass jetzt Fachleute vom Landesamt für Denkmalschutz sowie von der jüdischen Glaubensgemeinschaft für das Sanierungskonzept verantwortlich sind.
Da die Gelder zwar zugesagt, aber noch nicht ausbezahlt sind, will sich Sontheim für eine vorzeitige Genehmigung der Pläne einsetzen. Dann könnten die Arbeiten noch in diesem Jahr beginnen, sodass die Gräber zum 80-jährigen Bestehen im kommenden Jahr fertig restauriert wären. „Dieser Schritt, dass der Friedhof saniert wird, ist großartig“, betont die Geschichtsprofessorin Marita Krauss.
Sie hat die Sanierung im Rahmen ihrer Forschungen zur Nazi-Vergangenheit der Gemeinde Feldafing angestoßen. „Es ist wichtig, dass die Leute ein Gesicht bekommen.“ Nun gebe man den Toten Namen und würdige die Gräber. Auslöser für ihre Forschungen zum jüdischen Friedhof war für die Historikerin der Besuch von Nachkommen der DP-Camp-Bewohner im Jahr 2022. Das Camp war 1945 auf dem Gelände der ehemaligen Reichsschule der NSDAP in Feldafing als Unterkunft für Displaced Persons (DP), also vorrangig KZ-Überlebende, errichtet worden.
Die Nachkommen aus den USA seien ratlos gewesen, wo die Gräber ihrer Angehörigen liegen. Krauss hat nachgeforscht und herausgefunden, dass hier anstatt der 112 im Standesamt aufgelisteten Verstorbenen 158 Menschen begraben wurden. „Es sind viele Leute hier beerdigt, die nicht auf den Listen auftauchen.“
Unterdessen konnte Krauss die Namen von 130 Personen zuordnen. Auf zwei Grabsteinen sind die Namen noch erkennbar. Es handelt sich um zwei Frauen, die das KZ überlebt haben und sich im DP-Camp von ihrem schlimmen Schicksal erholen sollten. Welch eine grausame Ironie, dass sie, als sie endlich Frieden gefunden hatten, bei einem Autounfall ums Leben kamen.
Überhaupt ist die Anzahl der Verstorbenen im ersten Jahr im Camp sehr hoch. Schon im Mai 1945 sind innerhalb von einem Monat 63 Tote begraben worden – so viele wie nie zuvor in Feldafing. Das liegt laut Krauss wohl daran, dass die KZ-Überlebenden sehr erschöpft waren und deshalb viele Krankheiten bekamen. Zudem war das Camp mit teilweise bis zu 6000 Personen überfüllt – durchschnittlich lebten dort 3500 Menschen – und Krankheiten konnten sich schnell verbreiten. So brach etwa eine Typhus-Epidemie aus und alle Feldafinger mussten geimpft werden.
Insbesondere die Feldsteine auf der Rasenfläche sind unlesbar geworden. Auf zwei Steinen wurden Marmortafeln mit Davidstern und Namen angebracht. Doch ist laut Krauss nicht sicher, ob diese Personen tatsächlich in den Gräbern liegen. Restauratoren, die auf Schriftbilder spezialisiert sind, werden nun die hebräischen Buchstaben auf den Grabsteinen erneuern. „Damit man die Namen wieder erkennen kann“, erklärt die Historikerin.
Ein ungelöstes Rätsel sind zwei Grabhäuschen – denn diese sind auf einem jüdischen Friedhof untypisch. Wer in den Gräbern liegt, ist im Standesamt nicht verzeichnet. In der damaligen Lagerzeitung hat Krauss aber entdeckt, dass in einem der Häuschen Rabbi Baruch Hakohen begraben liegt. Nun sollen die überdachten Gräber vorsichtig im Beisein eines Rabbis mit einer Kamera befahren werden.
Nach Angaben der Historikerin sind auch nicht-jüdische Camp-Bewohner auf dem Friedhof beerdigt worden. Diese Personen hatte man später in den Gemeindefriedhof umgebettet, aber die Gräber nach 15 Jahren wieder aufgelöst. Für diese Toten soll es ebenfalls eine Gedenktafel geben. „An die muss man sich auch erinnern, weil sie das gleiche Schicksal hatten“, ist Krauss überzeugt.
Der Friedhof soll eingezäunt werden. Auch die Tafel am Gedenkstein im Eingangsbereich wird erneuert, denn der dortige Text ist falsch. „Hier ruhen unzählige Opfer jüdischen Glaubens. Sie wurden in den Jahren von 1933 bis 1945 durch Nazischergen ermordet“, ist darauf zu lesen.
Doch der Feldafinger Friedhof ist erst 1945 entstanden und es wurden ausschließlich Bewohner des DP-Camps beerdigt. Wie Krauss vermutet, könnten eventuell auch ein paar Personen begraben sein, die in dem Zug mit den KZ-Überlebenden gestorben waren, der Anfang Mai 1945 zwischen Tutzing und Seeshaupt ankam. Das will die Historikerin ebenfalls untersuchen.
Die Tafel mit dem falschen Text soll nun eingelagert werden, denn auch sie gehöre schließlich zur Geschichte, betont die Historikerin. Das Buch zur Feldafinger NS-Vergangenheit soll im Herbst 2024 unter dem Titel „Traum und Albtraum des Feldafinger Nationalsozialismus“ erscheinen und der Bevölkerung vorgestellt werden.