In deutschen Schrebergärten kursiert mitunter eine Weisheit Mahatma Gandhis, des großen, gewaltlosen indischen Freiheitskämpfers: „Wenn wir vergessen, wie wir die Erde umgraben und den Boden pflegen, vergessen wir uns selbst.“ Also graben die Kleingärtner der Republik munter drauflos im Bemühen, den Bezug zur Welt, zur Natur und zu sich nicht zu verlieren. Der Alltag stresst schließlich ohnehin: Zwischen Home-Office, Business-Calls und Matcha schlürfen im neuesten Szenecafè bleibt kaum Zeit für die wirklich wichtigen Dinge. Und so können viele einen Tag im Garten kaum erwarten.
Besonders gefährdet, vom modernen Leben zerrieben zu werden, sind Berufspolitiker. Stets muss man erreichbar sein, ständig will einer was von einem, und die „freien“ Tage verbringt man auf dem Sommerfest des örtlichen Schützenvereins im Wahlkreis.
So verwundert es nicht, dass sich die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge gemeinsam mit Christiane Feichtmeier, ihrer Parteikollegin aus dem Landtag, kürzlich als Hobbygärtnerin betätigt hat – frei nach einem weiteren klugen Kopf, dem englischen Philosophen Francis Bacon: „Die Gartenarbeit ist das reinste aller menschlichen Vergnügen“, soll der Begründer des Empirismus und Erfinder des englischen Rasens, dem Traum eines jeden Kreisklassen-Fußballers, einmal von sich gegeben haben.
Bacon zufolge müsste Wegge also eine Riesengaudi gehabt haben, als sie kürzlich auf dem Anwesen der Hans-Albers-Villa in Feldafing ein bisschen Erde ausgebuddelt und in einen Sack gestopft hat. Aber wie das eben so ist bei Politikern: Auch diese Aktion erfolgte nicht rein aus Selbstfindungszwecken oder gar einfach nur zum Spaß. Denn die von Wegge entnommene Erde landet in der Bundeshauptstadt, um dort Teil eines phänomenalen Kunstwerks zu werden: Für das Projekt „Der Bevölkerung“ von Hans Haacke steuern Bundestagsabgeordnete aus der ganzen Republik Erde aus ihren Wahlkreisen für ein zentrales Beet in Berlin bei.
Das Ganze soll dann die Einigkeit des Landes darstellen: Erde als verbindendes Element sozusagen. Doch es kommt noch besser. Wenn es jetzt vor der Haustür zum Reichstag was zu gärtnern gibt, müssen die Abgeordneten gar nicht mehr zum Buddeln nach Hause fahren. Sondern können ganz entspannt nach der Plenarsitzung ein paar Radieschen, Gurken oder Cannabis pflanzen. Zum Runterkommen und zur Selbstfindung. Oder auch einfach nur so, zum Spaß.