Süddeutsche Zeitung

Feldafing:Brennpunkt Palästina

Autorin Karin Irshaid befasst sich mit dem Zusammenleben von Kulturen und Völkern

Von Otto Fritscher, Feldafing

Auf den ersten Blick wirkt das Buchcover etwas verwirrend. Doch es erzählt in Bildern eigentlich die ganze Geschichte, die Karin Irshaid auf 104 Seiten aufgeschrieben hat. Wachtürme sind zu sehen, Panzer sind aufgefahren, es gibt aber auch eine Schule, das Mittelmeer, eine Hochzeitsgesellschaft, und einen Ort, an dem eine Moschee, eine Synagoge und eine christliche Kirche friedlich nebeneinander stehen.

Das ist die Vision, die Karin Irshaid in ihrem Buch "Das Hochzeitsessen" zeichnet. Es ist beileibe kein neues Buch, jetzt ist die dritte Auflage erschienen, im dritten Verlag. 1996 hat die Feldafingerin "Das Hochzeitessen" erstmals veröffentlicht, vor bald 20 Jahren. Und noch immer ist die Thematik, das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Völker im Nahen Osten, brandaktuell.

Die Erzählung beginnt mit einer arabischen Weisheit: "Wenn man erst einmal zusammen an einem Tisch gesessen und gemeinsam gegessen hat, kann man kein Feind mehr sein." Folgerichtig schildert Irshaid, wie eine Frau namens Lea ein mehrgängiges arabisches Gericht zubereitet, neben dessen sinnlicher Beschreibung sich ein Beziehungsgeflecht entfaltet. Mehr als 35 000 Exemplare des "Hochzeitsessens" sind bisher verkauft worden.

Mehr als ein Dutzend Bücher hat Karin Irshaid bisher geschrieben, die meisten mit poetischem, die letzten aber auch mit politischem Hintergrund. Ihr neuestes Werk sollte eigentlich noch in diesem Herbst fertig werden, das Erscheinungsdatum verschiebt sich aber ins nächste Jahr. Bislang gibt es auch nur einen Arbeitstitel. Er lautet "Judiths Welt", und auch er lässt erahnen, dass sich Irshaid erneut mit Vertreibung, Verlust der Heimat, den Schwierigkeiten eines Neubeginns und Versöhnung beschäftigen wird - das sind zumindest die virulenten Themen aus dem "Hochzeitsessen".

"Eigentlich wollte ich eine Kurzgeschichte schreiben", erzählt Irshaid, "doch dann waren es auf einmal 300 Seiten. "Da haben sich einfach Personen und Themen reingedrängt, und auf einmal war es ein Roman", beschreibt Irshaid ihre Arbeitsweise, die sie "assoziatives Schreiben" nennt. Judiths Welt, so viel sei verraten, ist wieder ein Buch mit politischem Hintergrund, handelt von den Möglichkeiten der Versöhnung, eingebettet in eine "verrückte Liebesgeschichte", so die Autorin. Vielleicht muss man wissen, dass Karin Irshaid durchaus auch eine persönliche Verbindung zum Nahen Osten hat: Sie ist seit genau 50 Jahren mit einem Palästinenser verheiratet.

Oft genug hat sie historische Schauplätze, aber auch die Schauplätze der Kriege und Zerstörung besucht. Hat miterlebt, mit welch unerbittlicher Härte die Auseinandersetzung von beiden Seiten geführt wurde. "Jetzt gibt es keine Hoffnung mehr auf einen eigenständigen Palästinenserstaat", ist Irshaid überzeugt. Bei ihren Besuchen hat sie festgestellt, dass viele Palästinenser Angst haben, von den Israelis "in die jordanische Wüste vertrieben zu werden. Denn es geht immer um eines: um den Zugang zum lebenswichtigen Wasser."

Mehr als 200 Mal hat Irshaid mit dem "Hochzeitsessen" Lesungen bestritten, das bislang letzte Mal Ende Juli im Münchner Gewerkschaftshaus. Aus dem Buch und den Lesungen heraus sind aber auch verschiedene Projekte entstanden. Etwa die "Stiftung Begegnung", die sich um die Verständigung zwischen jungen Deutschen und Palästinensern kümmert. Oder das Zonta-Projekt, das seit zehn Jahren in Bielefeld läuft, wo Karin Irshaid lange an der dortigen Kunsthalle gearbeitet hat. Junge Palästinenserinnen erhalten für ein Vierteljahr einen Praktikantinnenplatz, sie sind zumeist angehende Architektinnen oder Ingenieurinnen, die dann mit einem guten Netzwerk im Rücken in ihre Heimat zurückkehrten, sagt Irshaid.

Würde sie das "Hochzeitsessen" heute, nach wie gesagt bald 20 Jahren, wieder so schreiben? Irshaid denkt kurz nach und sagt: "Ich wollte, ich könnte es heute noch genauso schreiben. Aber ich bin nicht mehr so unbelastet. Damals hatte man noch Hoffnung, das kann ich heute nicht mehr so sagen. Und ich würde dem Text heute ein paar Kapitel hinzufügen, zu dem, was es damals noch nicht gab." Am Ende des Buches sitzen ein Jude, ein Moslem und ein Christ gemeinsam an eine Tisch. "Es ist die Politik, die die Menschen trennt", sagt Irshaid.

Karin Irshaid, Das Hochzeitsessen, 104 Seiten, 12,95 Euro, erschienen im Kiener-Verlag, München

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SZ vom 13.08.2015
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