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SZ-Serie: Mein kleines Museum - Sammler und ihre Schätze:Bei ihm knistert's

Feldafings Bürgermeister Bernhard Sontheim pflegt privat ein besonderes Hobby: Er sammelt Grammofone und Phonographen. Als studierter Elektroingenieur kennt er auch die technischen Besonderheiten dieser antiquarischen Musikabspielgeräte.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Feldafing

Bernhard Sontheim senkt den Tonabnehmer und setzt vorsichtig die Nadel auf die Schellackplatte. "Wichtig ist, dass man vor jedem Abspielen eine neue Nadel einspannt", erklärt er. Ansonsten schleife die Platte zu sehr ab und könne beschädigt werden. Mit einem Knistern erwacht das Grammofon zum Leben. Etwas dumpf und verwaschen ist der Bayerische Defiliermarsch zu hören. Keine Frage, die Tonqualität dieser ersten Musikwiedergabegeräte ist weit von denen einer modernen Stereo-Anlage entfernt. Doch das Rauschen und Knistern spricht die Sinne an und weckt ganz eigene Emotionen.

Etwa 60 Grammofone und Phonographen hat der jazzbegeisterte Feldafinger Bürgermeister in seinem Haus stehen. Die meisten dieser raumeinnehmenden Vorläufer der Plattenspieler, etwa die Luxusausführung eines Edison Diamond Disc Players, befinden sich im Keller neben den Regalen mit seiner umfangreichen Plattensammlung und dem Werkstatttisch, auf dem hochpräzise Feinmechanik-Werkzeuge aufgereiht sind. Hier ist Sontheims ganz persönliches Reich. Hier kommt er zur Ruhe, wenn er sich seine beleuchtete Lupenbrille aufsetzt und in stundenlanger, geduldiger Kleinarbeit an seinen Grammofonen und Phonographen herumschraubt.

"Ich bin ein Bastler - und hier kann man mit relativ wenig Aufwand einiges reparieren", sagt der studierte Elektroingenieur. Das Reparieren habe er sich selbst beigebracht, erklärt er stolz. Und das ist gar nicht so einfach. Manchmal sind die Federn gebrochen und müssen gekürzt werden. Falls das nicht möglich ist, muss sich der Sammler Ersatzteile besorgen. Viel häufiger allerdings sei das Schmierfett in dem oft mehr als hundert Jahre alten Geräten verharzt. Dann zerlegt Sontheim den Motor in seine Einzelteile, reinigt sie und fettet sie neu ein. Durch die Beschäftigung mit seinen Grammofonen könne er abschalten, sagt er. Wenn das Holz der meist aufwendig gearbeiteten Möbelstücke beschädigt ist, lässt er es von einem befreundeten Restaurator reparieren.

Zunächst hat der Jazz-Experte und Gründer des Vereins "Jazz am See" Schallplatten-Raritäten gesammelt, darunter zwei extrem seltene Erstausgaben von der Firma Blue Note, die noch das schwarz-weiß-magentafarbene Label haben. Sie sind sein ganzer Stolz. Auf der Weiterführung dieser Sammlung liegt auch sein Hauptaugenmerk. Zu den Musikabspielgeräten kam Sontheim erst vor acht Jahren. Als er in Stuttgart ein Grammofon in einem Schaufenster entdeckte, war es um ihn geschehen. Er wollte es unbedingt haben, doch es war unverkäuflich. Über Ebay hat er eine Replik gefunden, die den Anstoß gab für seine neue Sammelleidenschaft.

Die Geräte kosten zwischen 300 und 1500 Euro, Raritäten oft das Doppelte

Die ersten Stücke hätten ihm einfach nur gefallen, erzählt er. Aber als er sich näher mit der Thematik auseinandersetzte, war der Elektroingenieur ganz begeistert von der Technik. Im Laufe der Jahre hat sich Sontheim spezialisiert, insbesondere auf die von Thomas Alva Edison erfundenen Phonographen und Zelluloid Walzen von Blue Amberol Records. Seither sammelt und repariert er die Geräte. Um ja nichts zu verpassen, geht Sontheim täglich, noch vor dem Frühstück, hinunter in seinen Keller. Dann setzt er sich mit der ersten Tasse Kaffee des Tages vor seinen Computer und durchforstet die Angebote bei Ebay, unter den Kleinanzeigen oder von anderen Sammlern. Wenn er sich zum Kauf entschließt, lässt er sich die kleineren Geräte zuschicken. Bei größeren Grammofonen, die oft einen kommodenähnlichen Unterbau mit Plattenregalen haben und auf die bis zu 1,50 Meter große Trichter aufgesetzt werden, beauftragt er eine Spedition. Es ist ein kostspieliges Hobby. Die Geräte kosten zwischen 300 und 1500 Euro, Raritäten oft das Doppelte.

Weil er für die Sammlung viel Platz benötigt, stehen einige Geräte im Musikzimmer im ersten Stock, beispielsweise ein Münzgrammofon mit einem blauen, schön verzierten Trichter oder ein kleines Grammofon im Tragekoffer zum Mitnehmen, das noch bis zum Jahr 1950 hergestellt wurde. Ganz besondere Raritäten sind im Wohnzimmer ausgestellt.

Zu jedem Gerät kann Sontheim eine Geschichte erzählen, wie etwa zu dem Grammofon von "His Masers Voice". Auf dem Firmen-Label ist ein Hund zu sehen, der vor dem Trichter sitzt. Wie Sontheim erklärt, heißt der Hund "Nipper", was auf Deutsch "Wadlbeißer" bedeutet. Konzentriert hört der Hund einer Rede zu, die aus dem Trichter kommt und in der er die Stimme seines Herrchens erkennt. So sei der Firmenname entstanden, erklärt der Sammler, während er das Grammofon nebst Hundefigur wieder vorsichtig auf das Regal zurückstellt.

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