Ausstellung zur „Stunde Null“Exponate erzählen Geschichte

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Kuratorin Katja Sebald und Martin Rohmer, Leiter der Villa Waldberta, werben mit einem Plakat am Palmenhaus für die Ausstellung „17 Jahre - 17 Dinge“.
Kuratorin Katja Sebald und Martin Rohmer, Leiter der Villa Waldberta, werben mit einem Plakat am Palmenhaus für die Ausstellung „17 Jahre - 17 Dinge“. (Foto: Foto: Georgine Treybal)

Die Ausstellung „17 Jahre – 17 Dinge“ der Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin Katja Sebald befasst sich mit der Gemeinde Feldafing in den Jahren 1934 – 1951. Sebald verknüpft die Exponate mit Biografien – und schildert so bewegende Szenen.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Feldafing

Im Gästebuch des Tennisklubs von Georg Siedhoff hatten sich im Mai 1945 Soldaten der französischen Besatzung verewigt: „En Tuer“ steht dort, „tötet sie“. Und weiter heißt es: „Das ist zu wenig, wenn man Dachau gesehen hat.“ Nur drei Wochen waren die französischen Alliierten in Feldafing, und in dieser Zeit plünderten, raubten und vergewaltigten sie. Ruth Koch hat aufgeschrieben, was sie in jenen Wochen erlebt hat.

Die „Anarchie“ beginnt für sie, als am 9. Mai französische Panzerverbände das Kommando in Feldafing übernahmen. Proteste wegen der Plünderungen und Vergewaltigungen, so steht es in den Aufzeichnungen, sind ihrer Meinung nach „völlig zwecklos, Widerstand zuweilen riskant“, denn die Franzosen könnten mit Verstärkung wiederkommen. Als sie am 26. Mai 1945 abziehen, hinterlassen sie „eine völlig verwüstete Ortschaft“ – und einer ihrer Söhne ist tot.  Denn die Franzosen nehmen nicht nur alles mit, was ihnen wertvoll erscheint: Um genügend Platz für die geraubten Güter zu haben, lassen sie bei ihrem Abzug am 26. Mai 1945 Waffen und Munition zurück. Der zwölfjährige Jürgen Koch hebt eine herumliegende Phosphorgranate auf, die er für einen Stock gehalten hat: Sie explodiert in seiner Hand, am 9. Juni erliegt der Junge seinen Verletzungen. „Ein fröhliches Kinderleben erlischt, ein spätes Opfer der Apokalypse“, schreibt dazu seine Mutter Ruth Koch in ihrem Tagebuch.

Ihre Erinnerungen auf dicht geschriebenen Schreibmaschinenseiten hat Koch dem Feldafinger Gemeindearchiv vermacht. Die Kunsthistorikerin, Kulturjournalistin und Kuratorin Katja Sebald hatte lange Zeit nach dem Original-Tagebuch gesucht, bis sie herausfand, dass Koch nichts Handschriftliches hinterlassen hatte. Es gibt nur diese auf der Schreibmaschine geschriebenen Seiten. Das „O“ ist defekt. An manchen Stellen sind Textpassagen durchgestrichen und handschriftlich ausgebessert.

Die Schreibmaschine sowie einige Seiten aus dem Tagebuch und auch das in rotes Leder gebundene Gästebuch des Tennisklubs sind unter den Exponaten der Ausstellung „17 Jahre – 17 Dinge: Feldafing 1934 – 1951“, die von 26. April an im Palmenhaus der Villa Waldberta in Feldafing gezeigt wird. Die Ausstellung ist Teil des Projekts 1945/2025 „Stunde null? Wie wir wurden, was wir sind“, ein Programm zur Nachkriegszeit in München.

Eine Seite aus dem Gästebuch des Tennisklubs in Feldafing, die von französischen Soldaten im Mai 1945 gezeichnet wurde.
Eine Seite aus dem Gästebuch des Tennisklubs in Feldafing, die von französischen Soldaten im Mai 1945 gezeichnet wurde. (Foto: Foto: Georgine Treybal)
Auf dieser Schreibmaschine verfasste Ruth Koch ihre Erinnerungen aus den Nachkriegstagen.
Auf dieser Schreibmaschine verfasste Ruth Koch ihre Erinnerungen aus den Nachkriegstagen. (Foto: Foto: Georgine Treybal)

Seit 2023 recherchierte Sebald zu dem Thema, unterstützt von der Gemeindearchivarin Martina Graefe sowie von Professor Marita Krauss und Erich Kasberger. Das Historiker-Ehepaar hat über diese Zeitspanne das Buch „Traum und Albtraum – Feldafing im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit“ geschrieben, mit dem sie die Gemeinde Feldafing beauftragt hatte. Wie Sebald betont, steht die Ausstellung nicht in Konkurrenz zu dem Buch: Sie habe einen anderen Ansatz, indem sie der Frage nachgegangen sei, ob es überhaupt noch Dinge aus der damaligen Zeit gebe, die man zeigen könne.

Die Suche nach geeigneten Exponaten für die Ausstellung war für die Kunsthistorikerin sehr schwierig. Laut Sebald hat es einige Dinge gegeben von Feldafinger Familien, und sogar die Gedenktafel des verhassten NSDAP-Ortsgruppenleiters Heinrich Brubacher ist in der Ausstellung zu sehen. Das Jüdische Museum München hat ebenfalls Leihgaben beigesteuert. Dennoch hat Sebald auch Rückschläge hinnehmen müssen. So sei etwa eine Lederhose im Internet zum Kauf angeboten worden, die zur Uniform der Reichsschüler gehörte. Doch ihre Bitte, das Sammlerstück für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, habe der Käufer abgelehnt.

Zur Reichsschule gibt es ebenfalls Erinnerungen von Ruth Koch. Nur wenige Tage, nachdem die letzten Reichsschüler die Gebäude verlassen hatten, wurden die Sturmblockhäuser als DP-Camp genutzt, also als Auffanglager für „Displaced Persons“. Die Amerikaner hatten eine Dusche und eine Behandlung mit DDT für die vertriebenen Neuankömmlinge angeordnet. Als Rotkreuz-Helferin musste Koch die ehemaligen KZ-Häftlinge betreuen und sie zu den Duschen bringen. Als sie Handtücher und Seife austeilte, sei eine entsetzliche Panik ausgebrochen, schreibt sie in ihren Erinnerungen. Erst auf Nachfrage habe die Aufseherin erfahren, dass die ehemaligen KZ-Häftlinge furchtbare Angst vor der Dusche hatten, weil sie diese für eine Gaskammer hielten.

Die Villa Waldberta in Feldafing wird als internationales Stipendiatenhaus genutzt und gehört der Landeshauptstadt München. Die Ausstellung „17 Jahre - 17 Dinge“ findet im Palmenhaus der Villa statt.
Die Villa Waldberta in Feldafing wird als internationales Stipendiatenhaus genutzt und gehört der Landeshauptstadt München. Die Ausstellung „17 Jahre - 17 Dinge“ findet im Palmenhaus der Villa statt. (Foto: Foto: Georgine Treybal)

Die Ausstellung ist unterteilt in die Themenkreise Großbürgerliches Leben in der Villenkolonie, Reichsschule, Lazarett sowie DP-Camp.  Für die Kuratorin war es eine große Herausforderung, diese Zeitspanne in der Feldafinger Geschichte mithilfe von nur 17 Exponaten zu erzählen. Weil Sebald die Ausstellung nicht überfrachten wollte, hat sie die Exponate mit Biografien verknüpft und die Texte relativ kurz gehalten. Wer sich näher mit den Hintergründen auseinandersetzen will, kann sich in eine Leseecke zurückziehen und dort in Ruhe Quellen studieren.

Sebalds großes Anliegen war es, dass die Ausstellung in der Villa Waldberta gezeigt wird. Mit Leiter Martin Rohmer hat sie Unterstützung gefunden. Seine einzige Bedingung war, dass die Ausstellung Bezug zu den Stipendiaten hat, die dort arbeiten und wohnen.  Das Thema passe zum Programm „Stunde null“ und die Ausstellung knüpfe an die Villa Waldberta in dieser Zeit an, sagte er.

Die Ausstellung „17 Jahre – 17 Dinge: Feldafing von 1934 – 1951“ ist vom 26. April bis 11. Mai jeweils am Samstag und Sonntag (14 bis 18 Uhr) im Palmenhaus der Villa Waldberta zu sehen.

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