Farchach:Euphorische SPD-Mitglieder

Politologe Johano Strasser spricht von "Auflösung eines Gefühlsstaus"

Von Ute Pröttel, Farchach

Reicht die Euphorie in der SPD, die Martin Schulz auslöste, auch bis nach Berg und ins Fünfseenland? "Ganz klar", meint Bernhard von Rosenbladt, SPD-Vorsitzender des Berger Ortsvereins. Drei neue rote Parteibücher konnte er am Dienstag am Rande einer Diskussion über die richtige Wahlkampf-Strategie mit Johano Strasser überreichen. Die drei neuen Mitglieder - allesamt Frauen - bestätigen zwar nicht den bundesweiten Trend von vermehrten Eintritten bei den 30- bis 40-Jährigen. Die 61-jährige Bergerin Barbara Bosshard-Melzer bringt jedoch zum Ausdruck, was viele in diesen Tagen zum Eintritt in die große rote Volkspartei veranlassen dürfte: Sie will Haltung zeigen in politisch unruhigen Zeiten. "Mein Herz schlug schon immer in Richtung SPD," sagt die Anwältin für Familienrecht, die bis Ende der rot-gelben Koalition 1982 FDP-Mitglied war. Am Tag ihres Eintrittes in die SPD war sie förmlich euphorisiert und hat dies überall herumerzählt. "Was mich schockierte war, wie viele Menschen im meinem nächsten Umfeld gar nicht zur Wahl gehen." Eine hohe Wahlbeteiligung hält sie für den besten Garant gegen populistische Strömungen. "Die Meisten, die zur Wahl gehen, wählen dann ja auch vernünftig", sagt sie.

Die SPD ist in Bewegung. Das bestätigt auch der Berger Politologe und Schriftsteller Johano Strasser. Schon lange nicht mehr habe er so viele freundliche, ja euphorische Mitglieder erlebt wie auf dem Bundesparteitag vor zwei Wochen. "Das Alleinstellungsmerkmal des SPD-Mitglieds in den letzten zehn Jahren war schlechte Laune," stellte Strasser fest. Nun habe er den Eindruck, ein Gefühlsstau habe sich gelöst. Die Politisierung der jungen Menschen führt er auf zwei Motive zurück: Erstmals erlebt die junge Generation eine Gefährdung der sicher geglaubten demokratischen Ordnung. "Die jungen Leute verstehen, dass sie für die Demokratie kämpfen müssen," sagt Strasser. Und sie erfahren, dass das Gebilde Europa nicht garantiert ist. "Ein Verspielen Europas wäre für die nachfolgenden Generationen eine Katastrophe." Der SPD-Vordenker warnt vor zu viel programmatischen Details im Wahlkampf. Vielmehr gilt es zu überlegen, wie die künftige Weltordnung aussehen wird und welche Rolle Europa und Deutschland einnehmen wollen.

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