Manchmal müssen wir uns kneifen, um sicher zu gehen, dass wir nicht träumen: Es ist ein ganz normaler Donnerstagabend. Wären wir noch in Bernried zuhause, müssten nun die Kinder allmählich ins Bett - schließlich beginnt morgen wieder um acht die Schule.
Stattdessen holpern wir irgendwo in Kalabrien über eine dunkle Straße voller Schlaglöcher auf dem Weg zu unserer Unterkunft für eine Nacht. Wir sind auf dem Weg nach Apulien. Weil das an einem Tag zu weit wäre, haben wir eine Unterkunft in Rocca Imperiale gebucht - ohne irgendetwas über diesen Ort zu wissen. Er liegt praktisch, die Wohnung ist günstig. Plötzlich halten wir den Atem an: Oben auf einem Hügel thront eine beleuchtete Festung, darunter schmiegen sich Häuser an den Fels. Die Straßenlaternen und Fenster leuchten in der Dunkelheit. So ähnlich muss sich Harry Potter bei seiner ersten Ankunft in Hogwarts gefühlt haben.
Unsere Wohnung liegt direkt unter der Burg, und weil sie - wie in Süditalien üblich - keine Heizung hat, machen wir uns auf die Suche nach einem Restaurant. Die haben allerdings alle geschlossen. Auf einem kleinen Platz treffen wir schließlich Jolanda, eine junge Frau mit Kinderwagen, und fragen sie um Rat. In der kleinen Kneipe neben dem Souvenirshop könne man etwas essen, sagt sie, und bringt uns gleich hin. Der Raum ist gerade mal groß genug für drei Tische. Wir quetschen uns unter den riesigen Flachbildfernseher und bestellen: Pommes für die Kinder, einen Teller mit Käse- und Wurstspezialitäten der Region und frittierte Kabeljaustückchen mit knusprigen, getrockneten Paprikastücken - ebenfalls eine Spezialität. Der Rotwein kommt aus einer Flasche ohne Etikett, schmeckt würzig und leicht.
Am Nachbartisch sitzen die Dorfbewohner, trinken Bier und prosten uns zu. Aus der Küche schaut immer wieder eine alte Dame, die Nonna. Sobald die Kinder satt sind, ziehen sie mit der sechs Jahre alten Chloé vom Nebentisch los zu einer Passeggiata, einem Spaziergang. Das Mädchen spricht kein Wort Deutsch, unsere Kinder kein Italienisch. Egal, sie haben eine neue Freundin.
Die hausgemachte Pasta ist ein Geschenk
„Wollt ihr noch einen Teller Pasta?“, fragt die nette Bedienung. Stand nicht auf der Karte und eigentlich sind wir satt. Aber wie könnten wir die hausgemachten Nudeln, die sämige, stundenlang gekochte Soße aus Tomaten, Kräutern und etwas Fleisch ablehnen? „Müsst ihr nicht bezahlen, un regalo“, heißt es, ein Geschenk. Ebenso wie die Pizza mit Schokocreme für die Kinder, die mit einem Mal auf dem Tisch steht und die sie in einer kurzen Spielpause mit Chloé teilen.
Die Nonna betritt strahlend den Raum, unter dem Arm eine große Schüssel. „Wer möchte Fleisch?“, fragt sie. Schon liegt es auf unseren Tellern. Danach gibt es noch einen Berg Salat.
Und als der Fernseher dann zur Karaokemaschine umfunktioniert wird, italienische Schlager durch den winzigen Raum dröhnen und die Einheimischen uns das Mikrofon reichen - wer könnte da ablehnen? Wir singen lauthals mit. Ein Donnerstagabend in Kalabrien. Zuhause wären die Kinder längst im Bett.
Kantinenessen, Hortpampe, Alltagsbrei – Familie Hemminger aus Bernried hat es satt und bricht auf. Das Ziel: Das beste Essen in Europa finden. Was sie dabei erlebt, erzählt die Familie an dieser Stelle in der wöchentlichen Kolumne „Ham Ham Hemminger“. Mehr Informationen gibt es im Blog www.travelandtaste.world und im Podcast „Bock auf Regional – Reise durch Europa“. Alle weiteren Folgen der Kolumne gibt es hier.