Die Idee kam in Frankreich in einem dieser herrlichen Restaurants. Die Karte war handgeschrieben, Madame kochte, Monsieur bediente, die Kinder aßen vergnügt Schnecken und Muscheln. Die Eltern schmiedeten wilde Pläne. Warum war das Essen hier so viel besser und die Kinder kulinarisch mutiger? Sollten wir nicht einfach aufbrechen und uns auf die Suche nach dem guten Geschmack machen?
Eine verrückte Idee, doch sie ließ sich auch nach unserer Rückkehr nicht verscheuchen. Unser Alltag ist dicht getaktet, alle um uns herum sind gestresst, viele erschöpft. Schon vor zwei Jahren sagte meine Frau Anna immer wieder, sie habe das Gefühl, auf ein Burn-out zuzusteuern. Da dachte ich noch: Ja, schon viel alles – wir sind Freiberufler, haben drei Kinder und keine Großeltern in der Nähe. Aber wir haben Jobs, die uns Freude machen. Ich schreibe über Essen und Trinken und berate Weingüter. Anna arbeitet als Radioreporterin beim Bayerischen Rundfunk und wir haben unseren eigenen, kleinen Verlag. Wir schwimmen nicht in Geld, aber seitdem die Corona-Pandemie vorbei ist, reicht es für ein schönes Leben. Also: Geht doch alles, denke ich.
Bis sich Anfang 2023 auch bei mir Zweifel einschleichen. Ich spüre, dass in meinem Körper etwas aus dem Lot gerät. Manchmal zittern meine Hände, will ich etwas greifen, gehorchen mir meine Finger nicht recht. Irgendwann gehe ich zum Arzt. Drei Möglichkeiten nennt er mir. Muskuläre Probleme, etwas Organisches – oder ich habe einen Tumor im Kopf. Wir sprechen das beide nicht aus, aber darum geht es, als ich eine Woche später im MRT liege. Nach der Untersuchung die erlösende Botschaft: Ich bin gesund. Meine Blutwerte sind in Ordnung, auch die Physiotherapeutin findet wochenlang nichts, bis sie eine Spannung im Nacken als Ursache ausmacht. Ausgelöst durch Stress. Dann bekommt Anna plötzlich Sehstörungen und rasende Kopfschmerzen. Und schon liegt sie im MRT mit den gleichen Ängsten wie ich. Doch auch hier Entwarnung. Sie ist gesund, die Ursache: Stress.
Soll das immer so weitergehen?
Und dann, ein Sonntag, der 18. Juni des vergangenen Jahres, sitzen wir alle fünf am Esstisch. Anna und ich, unsere drei Kinder Fine, Lotti und Jakob, damals neun, sieben und vier Jahre alt. Aus einer Laune heraus werfe ich die Frage in die Runde, was wäre, wenn wir unsere verrückte Idee einfach wahr machen. Uns auf die Suche nach dem guten Geschmack machen? Quer durch Europa? Wir schauen uns an, die Mädchen jubeln. Jakob spielt mit seinen Dinosauriern. Ich staune über mich selbst, all die Wenns und Abers in meinem Kopf sind verschwunden. „Wir machen das jetzt einfach“, sagen wir und merken, dass wir gerade eine Grenze überschreiten. Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr.
Kantinenessen, Hortpampe, Alltagsbrei – Familie Hemminger aus Bernried hat es satt und bricht auf. Das Ziel: Das beste Essen in Europa finden. Was sie dabei erlebt, erzählt die Familie an dieser Stelle in der wöchentlichen Kolumne „Ham Ham Hemminger“. Mehr Informationen gibt es im Blog www.travelandtaste.world und im Podcast „Bock auf Regional – Reise durch Europa“. Alle weiteren Folgen der Kolumne gibt es hier.