Süddeutsche Zeitung

Exkursion: Starnberg will von Konstanz lernen

Kreisräte und Landkreisverwaltung wollen in Konstanz mehr über ein gut funktionierendes Fahrradwegenetz lernen: In der Studentenstadt am Bodensee haben Radler Vorfahrt.

Von Michael Berzl, Starnberg/Konstanz

Ausgerechnet Anne Franke von den Grünen steht dem Fahrradverkehr im Weg. "Hallo, Sie stehen auf einer Straße", herrscht eine ziemlich rasch herannahende Radlerin die neu gewählte Landtagsabgeordnete aus Stockdorf an, die vorsichtshalber einen Schritt zurück macht. Radler haben Vorfahrt in Konstanz, das wird deutlich, man muss schon aufpassen, ihnen nicht in die Quere zu kommen. Sie genießen ihre Privilegien im Straßenverkehr. Und die Stadt unternimmt viel, um ihnen den Weg frei zu machen. Darum ist eine 37-köpfige Besuchergruppe aus Starnberg am vergangenen Wochenende an den Bodensee gereist, um sich das anzusehen.

Mit dabei sind Landrat Karl Roth und sein Stellvertreter Georg Scheitz, Mitarbeiter des Landratsamts wie die Verkehrsmanagerin Susanne Münster und der Kämmerer Stefan Pilgram sowie Kreisräte jeglicher Couleur wie zum Beispiel Harald Schwab (CSU), Tim Weidner (SPD), Matthias Vilsmayer (Freie Wähler) oder die Grünen Franke und ihr Fraktionskollege Anton Maier aus Feldafing, der selbst ein passionierter Radler ist und, wann immer es geht, die gut 30 Kilometer zur Arbeit in München umweltschonend, abgasfrei und mit Muskelkraft zurücklegt. Am Bodensee wollen die Starnberger sich nun abschauen, was sie selbst alles unternehmen könnten, um diese Art der Fortbewegung attraktiver zu machen. Und das ist einiges.

Die Stadt Konstanz leistet sich dafür eine Stelle in der Verwaltung. "Ich beschäftige mich den ganzen Tag zu hundert Prozent nur mit dem Thema Radverkehr", erklärt Gregor Gaffga in seinem Begrüßungsreferat im dortigen Landratsamt. Er kümmert sich nicht nur darum, dass aus einem entsprechenden Handlungsprogramm in absehbarer Zeit auch Wirklichkeit wird, sondern ist Ansprechpartner für alle Belange, die irgendetwas damit zu tun haben. Von einer neu aufgemalten Markierung, die nicht so funktioniert, wie es gedacht war, bis zur Hecke, die den Weg versperrt und zurückgeschnitten werden müsste.

In der Stadt kann Gaffga den Starnbergern einige Errungenschaften zeigen. Eine stellenweise komplett blau eingefärbte Fahrradstraße zum Beispiel. Dort gilt Tempo 30, Radler dürfen nebeneinander fahren und müssen besonders berücksichtigt werden. Franke ist gleich ganz angetan von diesem Modell und könnte sich so etwas auf dem Mitterweg in Krailling oder der Zugspitzstraße in Stockdorf gut vorstellen.

Allerdings hat man es in Konstanz mit ganz anderen Zahlen zu tun. Da gibt es eine besonders stark befahrene Trasse, die auch zu Fachhochschulen und Gymnasien führt, da sind pro Tag im Durchschnitt mehr als 10 000 Radler unterwegs. Das ist eine Größenordnung, die der Zahl der Autos auf gut frequentierten Ortsdurchfahrten im Fünfseenland entspricht. Gaffga weiß es sogar ganz genau, denn im Weg verlegte Induktionsschleifen zählen mit, und ein Digitaldisplay zeigt den aktuellen Stand an. Genau 5973 sind es, als die Starnberger am frühen Nachmittag die Strecke besichtigen. Ein Stück weiter geht es auf einer Brücke, die nur für Radler und Fußgänger gebaut wurde, über den Rhein.

Das Fahrrad dient in Konstanz oft auch für Lastentransporte. Ob Stühle, Bettgestelle oder Essen: Alles ist möglich, berichtet Vera Zahner, Mitgründerin der Firma "Fakt" (Fahrradkurier und Transport). 15 Leute sind bei ihr beschäftigt, vor allem Studenten. "Damit unsere Stadt nicht im Verkehr erstickt. Damit unsere Stadt funktioniert. Dafür treten wir kräftig in die Pedale. Schnell, leise und effizient", wirbt das vor einem Jahr gegründete Unternehmen. "Die Einzelhändler finden das super, dass wir die Sachen nach Hause bringen", erzählt Zahner den Gästen. Die Stadtwerke Konstanz verleihen selbst Lastenräder. Das wird mit etwa 30 000 Euro pro Jahr bezuschusst, berichtet Gaffga. Seit Mai werden auch 150 Fahrräder vermietet.

Einige Anregungen haben die Besucher des Bodensees sicherlich mitgenommen an den Starnberger See, direkt umsetzbar ist wohl nur ein kleiner Teil, denn die Rahmenbedingungen sind sehr unterschiedlich. Die Studentenstadt Konstanz mit gut 80 000 Einwohnern und einer Altstadt mit verwinkelten Gassen lässt sich kaum vergleichen mit Starnberg und den Gemeinden im Fünfseenland und dem hügeligen Gelände. So räumte sogar Landrat Roth auf der Rückfahrt ein, er habe sich mehr erwartet.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2018
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