Süddeutsche Zeitung

Evangelische Akademie:Tutzinger Sternstunden mit Joachim Gauck

Der Altbundespräsident wird mit dem "Tutzinger Löwen" ausgezeichnet und plädiert für Mut zu "drastischen Auseinandersetzungen".

Von Manuela Warkocz

Streitbar und nachdenklich, schlagfertig und sehr entspannt - so präsentierte sich Altbundespräsident Joachim Gauck am Dienstagabend in der Evangelischen Akademie Tutzing. Der 79-Jährige nahm von Direktor Udo Hahn vor 140 geladenen Gästen den "Tutzinger Löwen" entgegen. Der Preis ist undotiert und würdigt herausragenden Einsatz für Freiheit und Demokratie. Gauck reiht sich damit ein in die illustre Reihe von Tutzinger Preisträgern wie Helmut Kohl, Hildegard Hamm-Brücher, Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu und Regisseur Oliver Stone.

"Die Freiheit des Erwachsenen heißt Verantwortung", zitierte in seiner Laudatio Professor Ludwig Theodor Heuss, Vorsitzender der Theodor-Heuss-Stiftung, ein Postulat von Gauck. Der frühere Pastor in der DDR und parteilose Politiker beehrte die Tutzinger Akademie zum dritten Mal. Zuletzt am Ende seiner Bundespräsidenten-Zeit 2017, unter hohem Sicherheitsaufwand samt Tauchern im See. Diesmal nutzte er - befreit von den diplomatischen Bürden des Amtes - seine Dankesrede und ein Podiumsgespräch mit Hahn, um Einblicke in seinen wechselvollen Werdegang zu geben. Der hat ihn im Jahr 2012 nicht nur ins höchste deutsche Staatsamt geführt, sondern auch seine Wertvorstellungen und seine politischen Anliegen geprägt.

Als Elfjähriger erlebte Gauck, der älteste von vier Buben, wie sein unschuldiger Vater nach Sibirien verschleppt wurde. Jahrelang habe die bettelarme Familie nichts über dessen Verbleib gewusst. Politisch zu denken habe er angefangen, als er mit 17, 18 Jahren begonnen habe, die Naziverbrechen zu studieren. "Dass die Eltern und Großeltern das Land in so eine Tyrannei gestürzt haben, hat mich tief verstört", so Gauck. Als Pastor in Rostock organisierte er 1983 und 1988, schon zu Erosionszeiten der DDR, zwei Kirchentage. "Wir wollten dass die Kommunisten mit uns in Dialog treten und edle Menschen werden. Aber sie hatten ja die Wahrheit und wollten gar keinen Dialog", erinnerte sich Gauck mit Selbstironie. Das Publikum quittierte lachend. Die Kirchentage hätten dennoch Möglichkeiten geboten, sich mit kritischen Themen auseinanderzusetzen wie Apartheid in Südafrika und Bewahrung der Schöpfung. "Wir haben einfach irgendwo Bäume gepflanzt - für die Stasi war klar, das muss der Klassenfeind dahinter stecken." Später hätten die Jungen Pioniere das Bäumepflanzen aufgegriffen.

Heute, dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung, wirbt Gauck auf dem Weg zu innerer Einheit um mehr Verständnis: "Die Mehrheit im Osten hat rasch die neuen Codes gelernt und beherrscht das Leben in der Demokratie." Zwei Diktaturen hätten aber über 50 Jahre gleich mehrere Generationen geprägt. Eine Erziehung, in der Eltern sagten: "Halt den Mund, leg dich nicht mit denen da oben an" könne man nicht mal eben auf Knopfdruck ablegen.

Angesichts einer "regelrechten Renaissance der autoritären Rechten" appellierte er, Mut aufzubringen und hart zu argumentieren. "In einer drastischen Auseinandersetzung geht die Demokratie nicht gleich zugrunde. Sie lebt auf", zeigt sich Gauck von der Wirksamkeit eines erweiterten Diskurses überzeugt. Demnächst wird Gauck zu diesem Thema sein neues Buch "Toleranz einfach schwer" veröffentlichen.

Nach dem Festakt trafen sich die Gäste wie Landtags-Vizepräsident Markus Rinderspacher, die frühere Staatsministerin Ursula Männle und Schriftsteller Johano Strasser zum Empfang in den Salons des Schlosses. Von einer "Sternstunde, die wir erlebt haben" sprach nicht nur Tutzings Vize-Bürgemeisterin Elisabeth Dörrenberg mit leuchtenden Augen. Udo Hahn zog sich mit Gauck und Entourage in ein Separée zurück. Zum Essen stieß auch Peter Maffay, der in Tutzing ansässige Rockstar. Noch zu später Stunde plauderte der Altbundespräsident interessiert und angeregt im Foyer mit Gästen wie Tutzings Bürgermeisterin Marlene Greinwald und ihrem Mann Martin. Der Rostocker offenbarte seine Leidenschaft für's Segeln.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2019
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