Erinnerung an den Todeszug:"Es geht uns alle an"

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Akademieleiterin Ursula Münch spricht beim Mahnmal in Seeshaupt. (Foto: Arlet Ulfers)

Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, appelliert bei der Gedenkfeier am Mahnmal in Seeshaupt, Position zu beziehen.

Von Kia Ahrndsen

Etwa hundert Bürgerinnen und Bürger haben sich an der Bahnhofstraße in Seeshaupt versammelt, um beim Mahnmal an die Befreiung des sogenannten Todeszugs zu erinnern. Am 30. April 1945 waren etwa 2000 KZ-Häftlinge aus dem Außenlager Mühldorf aus Güterwaggons befreit worden, die der Lokführer im Seeshaupter Bahnhof abgekoppelt hatte.

Unter den befreiten Häftlingen war der damals 17-jährige Louis Sneh aus Ungarn, der Seeshaupt seither als Ort seiner "zweiten Geburt" bezeichnete und viele Jahre regelmäßig zu Besuch kam; auch zur Einweihung des Mahnmals 1995 war er angereist. James Cohen von der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München, würdigte Louis Sneh, der am 16. Januar 2022 im Alter von 94 Jahren in Los Angeles gestorben ist. Seine Stärke, so Cohen, habe es ihm ermöglicht, ein glückliches Leben zu führen, was nicht alle ehemaligen KZ-Häftlinge geschafft hätten.

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Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, zeigte sich in ihrer Ansprache beunruhigt über das Wieder-Erstarken von Antisemitismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus in Teilen unserer Gesellschaft. Sie stellte die Frage, wie man mit Provokationen und dem Verhöhnen der Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes in digitalen Netzwerken umgehen solle. Münch warnte vor künstlicher Intelligenz wie dem Sprachmodell Chat GPT, das auf dem Geschriebenen des gesamten Internets basiere, inklusiv aller Vorurteile und Irrtümer, der Rassismen und Sexismen, des Antisemitismus. Allerdings sei es Zeitverschwendung, die Hetzer durch Argumente oder den Verweis auf historische Tatsachen bekehren zu wollen, meint Münch. Wichtiger und sinnvoller sei es, die "schweigende Mehrheit" anzusprechen.

Politische Bildung gegen die Geschichtsvergessenheit

Gegen die Geschichtsvergessenheit und ihre digitale Verbreitung, so die Direktorin der Tutzinger Akademie, bedürfe es zum einen historisch-politischer Bildung, zum anderen aber auch vieler Bürgerinnen und Bürger, die sich eindeutig positionieren für die Einbettung unserer Demokratie in das rechtsstaatliche Gefüge und in die auf alle mäßigend wirkenden europäischen Strukturen. Der Schutz der rechtsstaatlichen Demokratie und des friedlichen Europas sei nicht nur Aufgabe des Staates. "Er geht uns alle an", sagte Münch. Das Seeshaupter Mahnmal erinnere daran, was es bedeute, wenn zu wenigen Bürgern die eigene Verantwortung für den Schutz von Demokratie und Menschlichkeit bewusst sei.

Der Seeshaupter Bürgermeister Fritz Egold (CSU) verabschiedete die Zuhörerinnen und Zuhörer mit dem Wunsch, "dass wir uns auf das besinnen, was die menschliche Gemeinschaft eigentlich ausmacht".

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