Erinnern an die Nazi-Gräuel:Nie wieder

Wörthsee ist die einzige Gemeinde im Landkreis Starnberg, die am Tag der Opfer des Nationalsozialismus zum Gedenken lädt. In diesem Jahr geht es um das Leid der Sinti und Roma.

Von Christine Setzwein, Wörthsee

Rechtsextreme haben im Jahr 2016 bundesweit 23 555 Straftaten begangen. Das bedeutet in der Kriminalitätsstatistik ein Plus von 2,6 Prozent und einen Rekord. 85 Prozent der knapp 1500 gewalttätigen Verbrechen aus dem Bereich "Hasskriminalität" wurden von rechten Tätern verübt. Diese Zahlen können einem "Angst und Bange machen", sagt Beate Schnorfeil. Gleichzeitig seien sie Gebot, die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis wach zu halten. Und darum gibt es auch in diesem Jahr - bereits zum zehnten Mal - in Wörthsee eine Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus.

"Hängt die Wäsche ab, die Zigeuner (Sinti und Roma) kommen!" Mit diesem provokanten Titel wollen heuer die Jugendlichen des Jugendhauses Wörthsee aufzeigen, dass die Volksgruppe der Sinti und Roma bis heute mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen hat. Zwischen den Texten der Jugendlichen zum Thema singt die junge Sopranistin Irina Firouzi aus Germering "Zigeunerlieder".

Die Organisation der Gedenkstunde, die immer am 27. Januar stattfindet, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, lag heuer ganz in den Händen von Beate Schnorfeil. Der Bühnenbildner Jochen Diederichs, der die Jahre zuvor hauptsächlich die Konzepte mit den Jugendlichen erarbeitet hatte, lebt nicht mehr in Wörthsee.

Gedenkfeier im Jugendhaus

Jedes Jahr eine andere Aktion, um die Erinnerung wach zu halten: Vor zwei Jahren warteten die Jugendlichen in Wörthsee mit einem eindrucksvollen Luftbild von Steinebach auf, in dem 41 500 Nadeln steckten - eine für jedes Opfer, das im KZ Dachau ermordet wurde.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

2008 hatten die Grünen im Gemeinderat Wörthsee den Antrag gestellt, am 27. Januar 2009 eine Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus zu veranstalten. Der Beschluss dazu fiel einstimmig, die Organisation blieb an der SPD hängen. Christel Muggenthal, damals noch Gemeinderätin, Beate Schnorfeil und Jochen Diederichs legten los. Die erste Gedenkstunde fand im Rathaus statt, die zweite im Jugendhaus. Seitdem wird zwischen den Häusern abgewechselt. 2010 referierte Benedikt Gritschneder aus seiner Facharbeit über die Enteignungspolitik der NS-Herrschaft am Beispiel Wörthsee. 2011 zeigte die Journalistin Eva Gruberová ihren Film "Geboren im KZ" im Rathaus. 2012 stand die Gedenkstunde im Jugendhaus unter dem Titel "Wenn ich kein Jude wäre...", eine Szenen-Collage aus Texten unter anderem von Kästner und Tucholsky und Klezmer-Musik. 2013 sprach der langjährige ARD-Nahost-Korrespondent Friedrich Schreiber im Rathaus über den Todesmarsch. 2014 filmten die Jugendlichen Gespräche mit Wörthseer Zeitzeugen. Vier Frauen erzählten über ihre Jugend in den Kriegs- und Nachkriegsjahren.

2015 hieß der Gastredner im Rathaus Robert Bierschneider. Der Archivar im Staatsarchiv München sprach über die juristische Aufklärung der NS-Morde. 2016 warteten die Jugendlichen mit einer besonders eindrucksvollen Installation auf: einem großen Luftbild von Steinebach, in dem 41 500 Nadeln steckten, eine für jedes Opfer, das im KZ Dachau ermordet wurde. 2017 wurde im Rathaus ein Ausschnitt aus dem Film "Der weiße Rabe" gezeigt, ein Portrait des KZ-Überlebenden Max Mannheimer. Im Landkreis Starnberg ist Wörthsee die einzige Kommune, die eine Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus abhält.

Beate Schnorfeil; Beate Schnorfeil

Die Vorsitzendes des Jugendhaus-Trägervereins, Beate Schnorfeil, organisiert die Gedenkstunde an die NS-Opfer heuer allein.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Beate Schnorfeil, die Vorsitzende des Jugendhaus-Trägervereins, hofft auf viele Besucher an diesem Samstag um 19 Uhr im Jugendhaus. Schon allein aus Respekt vor dem Engagement der Jugendlichen. Die Erinnerung an die NS-Opfer werde angesichts einer AfD im Bundestag immer wichtiger, meint die 58-jährige Lektorin. Für viele sei das Kapitel Nationalsozialismus abgeschlossen. "Aber es kann jederzeit wieder aufgeschlossen werden", befürchtet Schnorfeil.

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