Die Liste der Ehrengäste war lang. Allen voran die Schirmherrin des „Liberation Concert“, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, der seit September amtierende Münchner Generalkonsul der USA, James Miller, und die Generalkonsulin des Staates Israel für Süddeutschland, Talya Lador-Fresher, die in ihrer Begrüßung auch den aktuellen Kampf Israels an gleich sieben Fronten zur Sprache brachte. Der Ammerseerenade und ihren Initiatoren Doris M. Pospischil und Hans-Joachim Scholz ist es gelungen, in der Erzabtei St. Ottilien ein alljährlich hochrangiges Erinnerungskonzert am einstigen Ort des Geschehens zu etablieren. Hier innerhalb der Erzabtei, wo 1945 ein Hospital für befreite KZ-Häftlinge eingerichtet wurde, gab das Displaced Persons Orchestra mit Musikern aus den umliegenden Konzentrationslagern am 27. Mai 1945 das legendäre Liberation Concert.
Heute, so der frisch an die Spitze der weltweiten Ordenskonföderation der Benediktiner berufene Abtprimas Jeremias Schröder in seiner Begrüßung, fühlten sich die Brüder als „Hüter des Gedächtnisses“. Die imposante Herz-Jesu-Kirche gibt dem Ereignis eine sakrale Dimension, die schon an sich etwas Versöhnliches darstellt. Der gregorianische A-cappella-Gesang der Mönche zum Auftakt der Veranstaltung brachte das Ereignis auch gleich auf die spirituelle Ebene, auf der Bar Zemach, der Hornist des West-Eastern Divan Orchestra, auf eine ergreifende Weise anschließend die Brücke zu Israel schlug. Der Shofar, hier ein prächtig gewundenes Kudu-Widderhorn, ist als liturgisches Instrument geradezu ein Symbol der jüdischen Religion. Es lag schon etwas Beschwörendes in dem gebetartigen Spiel Zemachs, zumal der Shofar dank der Klangaskese des solistischen Spiels an Eindringlichkeit kaum zu überbieten war.
Als feierlich getragenes Gebet ging auch Bruchs „Kol Nidrei“ überaus ausdrucksstark unter die Haut. Mit dem schön geformten Ton des Violoncellos von Maximilian Hornung, der hier für den wohl erkrankten Altmeister Mischa Maisky einsprang, wurde aus der Sprache ein Gesang, zumal vom großartigen Jerusalem Symphony Orchestra überaus farbenreich getragen. Dass der am Pult stehende Chefdirigent Julian Rachlin selbst ein herausragender Geigenvirtuose ist, macht es ihm leichter, Orchester und Solostimme zusammen zu denken. Dieses Ineinandergreifen von symphonischer Breite und klangschöner Zurücknahme zugunsten der konzertanten Führung des Cellos war hier schon von besonderem Reiz.
Mit viel Fingerspitzengefühl bereits im Nocturne d-Moll von Tschaikowsky, in dem es vor allem darum ging, sensible Schönmusikalität mit Leidenschaft in eine Balance zu bringen, und nicht zuletzt, um die kurze Passage der freudigen Aufhellung besonders kostbar zu inszenieren. Mit dem Cellokonzert Nr. 1 in C-Dur von Haydn war es dann aber mit der Zurückhaltung definitiv vorbei. Diese nach 200 Jahren in Prag wiedergefundene Meisterkomposition ist geradezu ein Feuerwerk konzertanter Musikliteratur und war hier für Hornung eine dankbar angenommene Möglichkeit, seine virtuose Bravour am Instrument zu demonstrieren. Auch Rachlin, dessen Dirigat sonst gestisch sehr subtil vonstattenging und mit sparsamen, aber überaus bedeutungsaufgeladenen Gesten auskam, griff die Vitalität der heiteren Sinfonik mit dem Orchester auf, um aber auch im Kontrast dazu mit atemberaubenden Rücknahmen überraschen zu können.
Im geschmeidigen Adagio setzte er auf die Farbigkeit diverser instrumentaler Kombinationen, um nah an Hornungs Solostimme die weiten Phrasen fesselnd changieren zu lassen. Im forschen, geradezu fetzigen Finale ließ er die Zügel des Jerusalemer Orchesters lockerer, sodass das Publikum die ganze Substanzfülle des Orchesters erleben durfte. Nicht zum letzten Mal an dem Abend. Nach einem Satz aus Bachs Solo-Cellosuiten als Abschiedszugabe von Hornung öffnete Rachlin alle Schleusen, um die Kirche mit Mozarts Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV550 zu fluten.
Auch wenn Hornungs Spiel das Publikum verzaubert und euphorisiert hatte, war es gut, das Jerusalem Symphony Orchestra auch einmal entfesselt zu erleben. Dieses Werk ist ein Schlager der klassischen Literatur, doch gelang es dem Orchester, gerade den populären Kopfsatz deutlich aufzufrischen. Den kraftvollen Galopp unterzog Rachlin einem Kontrastprogramm, das im Grunde in unterschiedlichen Ausprägungen durch alle Sätze erhalten blieb. Sehr subtil im Andante, wo es durchweg pulsierend um Farben, Charaktere, Laut-Leise-Gegensätze oder Hell-Dunkel-Gegenüberstellungen ging. Das Menuetto schwang beherzt das Tanzbein, im Trio von volkstümlicher Leichtigkeit, dann rhythmisch ausgeprägt im Finale. Auch das voranstürmende Schluss-Allegro assai sollte sich aber nicht mit ermüdendem Schlussspurt begnügen.
Rachlin und das überaus konzentriert agierende Jerusalem Symphony Orchestra verstanden es, die euphorisierende Wirkung mit Rücknahmen, Verdichtungen und dramatischen Zäsuren eindrucksvoll zu inszenieren. Die frenetische Reaktion des Publikums folgte geradezu zwingend.