Süddeutsche Zeitung

Entlaufene Kühe:Showdown mit Happy End

Lesezeit: 2 min

Zwölf Tage lang halten 42 ausgebüxte Kühe das Würmtal in Atem. Alle gelangen unbeschadet wieder in den heimatlichen Stall zurück. Doch die letzten 15 können erst eingefangen werden, nachdem sie mit Blasrohr und Betäubungspfeilen zur Strecke gebracht wurden

Von Armin Greune, Hausen

Ein Hauch von Wildwest im Würmtal: Fast zwei Wochen lang halten 42 entlaufene Kühe ungezählte freiwillige Helfer, Veterinäre, Polizisten und Jäger auf Trab. Zum Erfolg verhilft den nebenberuflichen Cowboys aber am Ende eine Waffe, die man eher Indianern zuordnen würde: Der Tiermediziner Henning Wiesner, vormals Zoodirektor von Hellabrunn, "erlegt" die letzten 15 noch flüchtigen Jungrinder mit dem Blasrohr und Narkosepfeilen. Ein Happy End für das Vieh und ihren Besitzer Georg Führer - schließlich war lange im Gespräch gewesen, die Tiere zu töten, weil sie den Verkehr gefährdeten.

Es muss am 2. Februar gegen drei Uhr früh gewesen sein: Führers Tochter Alexandra hatte um diese Zeit auf der Zufahrt in Hausen verdächtige Fahrgeräusche und das Gebell des Hofhunds gehört. Das ganze Schlamassel bemerken die Landwirte drei Stunden später: Ein unversperrtes Stahlgatter steht offen, im Stall finden sich nur noch elf von 53 Färsen - das sind jugendliche Kühe, die noch nicht gekalbt haben. Offenbar hatte ein Unbekannter das Tor geöffnet, bis heute ist über Täter und Motive nichts bekannt.

Mit 15 Helfern und der Besatzung von vier Streifenwagen machen sich die Führers auf die Suche und können bis zum Mittag gut die Hälfte der Herde wieder auftreiben. Der Begriff Herde aber trifft eigentlich nicht zu: Bei den noch unerfahrenen Kühen ist das Verhalten, sich zu einer großen Gruppe zu sammeln, noch nicht so ausgeprägt. Am ersten Tag werden schließlich 27 Tiere eingefangen; die meisten hinter einem Texas-Gitter auf einer Koppel, wo ein Heuballen als Köder die Tiere anlockt. Doch bei Königswiesen gehen der Polizei sieben Jungrinder durch die Lappen: Nachdem sich die Beamten bis auf fünf Meter annähern konnten, galoppieren die Tiere in den Wald davon.

Von da an gestaltet sich die Pirsch zäh: Zwar werden immer wieder "wilde" Kühe bei Söcking, Gut Rieden oder Oberbrunn gesichtet, doch sie erweisen sich als äußerst scheu. Immer wieder überlegt man im Landratsamt Starnberg, ob man die auf freiem Huf verbliebenen 15 Tiere zum tödlichen Abschuss freigibt - schließlich ist die Gefahr groß, dass sie auf Schienen oder Straßen Unfälle verursachen. Eine Kollision mit den etwa acht Monate alten und bis zu 300 Kilogramm schweren Kälbern könnte fatale Folgen haben.

Acht Tage nach ihrem Entkommen wird Henning Wiesner um Hilfe gebeten. Ihm gelingt es, vier weitere Tiere zu einzufangen. Der Veterinär, der im Landkreis wohnt, hat mit seiner "Hellabrunner Mischung" aus zwei Betäubungsmitteln, weltweit Wildtiere erfolgreich narkotisiert und brachte so 2011 auch die niederbayerische Kuh "Yvonne" nach einer Hatz im größten Medienrummel zur Strecke. Am 10. Februar kann der Fachveterinär je zwei Kühe nahe des heimatlichen Stalls und auf einem Rübenacker bei Oberbrunn mit dem Blasrohr betäuben. Doch an den folgenden Tagen lässt sich die Aktion nicht fortsetzen, weil am sonnigen Wochenende hunderte Schaulustige unterwegs sind - Führer spricht von einer "Völkerwanderung". Natürlich lassen sich die Rinder nicht blicken.

Am 14. Februar kommt es zum Showdown auf einer Wiese bei Königsbrunn, direkt neben der S-Bahnlinie: Ein muhendes Kalb, das von seiner Mutter getrennt worden ist und im Gelände ausgestreuter Hafer locken die Kühe in ein durch einen Bauzaun abgeriegeltes Gatter. Wiesner kann aus kurzer Distanz eine nach der anderen mit Blasrohr und Pfeil ins Land der Träume schicken, die letzte Ausreißerin erwischt er am folgenden Tag. Gleich nach dem Verladen in den Anhänger geht es ans Aufwecken. Dabei greift Wiesner auf ein auch beim Menschen bewährtes Hausmittel zurück: Er verabreicht den Kühen starken Kaffee, den er in die Zungen der Kühe injiziert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3805947
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.12.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.