Süddeutsche Zeitung

Umweltpolitik:Mit 80 Windrädern wäre die Wende zu schaffen

Eigentlich will der Landkreis Starnberg bis 2035 weg von Öl und Gas. Doch der Aufwand, um dieses Ziel zu erreichen, ist beträchtlich. Der Vorsitzende des Energiewendevereins hat dazu einige Modellrechnungen angestellt.

Von Michael Berzl

Fast 80 Windräder im Fünfseenland, riesige Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtfläche so groß wie einige Hundert Fußballfelder, dazu mehrere Batteriespeicher, die so groß sind wie Überseecontainer: So müsste es in zwölf Jahren im Landkreis Starnberg aussehen, wenn man die angestrebte Energiewende konsequent zu Ende denkt. Der Kreistag hat 2005 die Abkehr von fossilen Energiequellen innerhalb von 30 Jahren beschlossen. Oliver Berger, Vorstandsmitglied des Energiewendevereins, hat nun ausgerechnet, was dazu alles geschehen müsste - und das ist einiges. Allein die finanziellen Dimensionen sind gewaltig: Seinen Rechenmodellen zufolge belaufen sich die Ausgaben auf etwa 3,5 Milliarden Euro, wie er kürzlich bei einen Vortrag im Gautinger Umweltausschuss vorrechnete. Allerdings wird es immer schwieriger, das selbst gesteckte Ziel in der vorgegebenen Zeit tatsächlich zu erreichen.

Die Hälfte der Zeit ist nämlich schon abgelaufen, energieautark ist der Landkreis Starnberg erst zu elf Prozent. Es ist, als hätte jemand eine Fußwanderung von Starnberg zum Münchner Marienplatz geplant, fürs Abendessen einen Tisch bestellt, zur Einkehr am Mittag aber noch nicht einmal Leutstetten erreicht.

Seit dem Beschluss des Kreistags, dass der Landkreis zu hundert Prozent mit erneuerbarer Energie versorgt werden soll, sind mittlerweile gut 17 Jahre vergangen, die Halbzeit ist schon vorüber. Die Gautinger Bürgermeisterin Brigitte Kössinger nannte es "bescheiden, dass wir noch nicht weiter gekommen sind". Und SPD-Gemeinderätin Carola Wenzel erklärte unmissverständlich: "Natürlich werden wir die restlichen 90 Prozent bis 2035 nicht erreichen." Und so denken viele. Ein ehrgeiziges Ziel wird damit auf halber Strecke lediglich zu einer Orientierungsmarke, in welche Richtung es gehen soll. Und das in einer Zeit, in der eine Abkehr von fossilen Brennstoffen wegen der Folgen des Kriegs in der Ukraine so wichtig wäre wie nie zuvor.

"Gemeinsam können wir die Energiewende im Landkreis Starnberg schaffen", heißt es noch auf der Homepage des Energiewendevereins, der vor 15 Jahren gegründet wurde, um diese Intention voranzubringen - mit Vorträgen, Informationsveranstaltungen, Ausstellungen, Modellprojekten oder Beratung. Der Landkreis Starnberg und fast alle seine Gemeinden sind Mitglieder. Der Physiker Oliver Berger aus Gilching ist einer der Vorstände. Ein Energiespar-Enthusiast, könnte man sagen. Der 47-jährige Diplom-Ingenieur hat ein Haus mit Fotovoltaikanlage, Akku und Wärmepumpe sowie zwei Elektroautos. Sein Haus wurde auch mit einem Preis ausgezeichnet. Bergers Kosten fürs Heizen, Tanken und für Strom beziffert er auf etwa 600 Euro im Jahr. In einem Statement in der Vereinsinfo im Internet gibt er sich kämpferisch: "Wir haben das Wissen, die Technik und das Geld, um die Energiewende zu schaffen, uns fehlt nur das Handeln."

Die Daten aus dem aktuellen Energiebericht des Landratsamts sind ernüchternd

Allerdings zeigen seine Berechnungen auch sehr deutlich, dass dieses Handeln sehr entschlossen sein müsste und gravierende Auswirkungen hätte - und wie beträchtlich der Aufwand ist, die bisherigen Versorgungsstrukturen komplett über den Haufen zu werfen. Berger hat einige Rechenmodelle erarbeitet, was sich in den nächsten Jahren ändern müsste, wenn es tatsächlich gelingen soll, künftig ohne Öl und Gas auszukommen. Und da ist einiges in unvorstellbaren Größenordnungen. Als Grundlage dient ihm der Energiebericht, den das Starnberger Landratsamt regelmäßig herausgibt.

Die Daten aus dem aktuellen Bericht sind ernüchternd. Demnach liegt der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch bei 11,6 Prozent, beim Strom liegt der Anteil sogar weit unter dem Bundesdurchschnitt. Geheizt wird zu fast 90 Prozent immer noch mit fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas, die Zahl der Autos nimmt stetig von Jahr zu Jahr zu. Der Gesamtenergieverbrauch liegt den Zahlen des Landratsamts zufolge bei knapp 3600 Gigawattstunden, lediglich gut 400 davon stammen aus erneuerbaren Energiequellen. Zum Erreichen der Klimaziele seien daher "rasche und verstärkte Anstrengungen nötig", heißt es in dem Bericht.

Wie das genau aussehen könnte, hat Berger in Gauting vorgestellt. Wenn Öl und Gas keine Rolle mehr spielen sollen, müssen andere Energiequellen her. Zu zwei Dritteln Wind, zu einem Drittel Fotovoltaik - nach Bergers Vorstellungen. Doch wie sieht das aus? Im gesamten Landkreis müssten dazu an die 80 Windräder errichtet werden, die auch noch viermal so leistungsfähig sein müssten wie diejenigen in den Wadlhauser Gräben bei Berg, inklusive wesentlich längerer Rotoren. Nach Auffassung von Landrat Stefan Frey (CSU) sind solche Modelle nicht ganz wörtlich zu nehmen, sondern seien "wahrscheinlich eher als Diskussionsbeitrag zu bewerten, der allerdings an der Lebensrealität zu messen ist". Diese Stellungnahme ließe sich wohl auch mit "nicht machbar" übersetzen. "Offshore-Windparks wie in der Nordsee, das sehe ich im Landkreis Starnberg nicht und wäre für unseren Landkreis auch nicht der richtige Weg", erklärt der Landrat jedenfalls weiter und macht deutlich: "Vor allem müssen wir die Menschen zur Erreichung unseres Ziels auf diesem Weg mitnehmen." Konkrete Planungen gebe es laut Frey etwa in Krailling, Gilching und Wörthsee. Bis die Windräder stehen, würden jedoch noch einige Jahre vergehen. Das liege unter anderem an langen und aufwendigen Genehmigungsprozessen.

Und die große Anzahl an Windrädern würde noch nicht einmal ausreichen. Zusätzlich müssten nach Bergers Berechnungen Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtfläche von gut 430 Hektar gebaut werden; das entspricht einem Prozent der Fläche des Landkreises. Nach Angaben des Landratsamts, das sich dabei auf das Marktstammdatenregister des Bundes beruft, sind bisher erst acht Freiflächenanlagen mit einer Gesamtleistung von knapp 25 Megawatt installiert. Die größte Anlage, die es bis jetzt gibt, befindet sich südlich von Geisenbrunn an der Lindauer Autobahn und wurde auf einer Fläche von etwas mehr als 14 Hektar errichtet.

Zudem rechnet Berger mit dem Bau von vier Geothermieanlagen wie in Freiham; bis jetzt gibt es nicht einmal eine einzige Bohrung in die Tiefe. Am weitesten sind noch die Bemühungen eines Konsortiums, das auf Gautinger Flur in der Nähe des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen die Wärme aus der Tiefe erschließen will. Doch ein Baubeginn ist noch nicht in Sicht, noch immer fehlen die Genehmigungen.

Und auch das reicht immer noch nicht aus: Nach dem Modell müsste Wärme in großem Stil gespeichert werden, damit sie in der kalten Jahreszeit zur Verfügung steht. Berger nannte bei seiner Präsentation im Gautinger Umweltausschuss auf Nachfragen aufgelassene Kiesgruben, die mit einer Dämmung versehen werden müssten: "Das hält bequem ein halbes Jahr die Wärme." Als Beispiel nannte er mehrfach die Gemeinde Fuchstal im Landkreis Landsberg, die schon viel in Sachen erneuerbare Energien unternommen hat.

Angesichts dieses Zukunftsszenarios stellt sich die Frage, wie realistisch es noch ist, dass der Landkreis Starnberg das selbst gesteckte Ziel jemals oder in der vorgegebenen Frist erreicht. Der Landkreis komme da gut voran, meint Landrat Frey. Auch die neu eingerichtete Energieagentur werde helfen, den Prozess zu beschleunigen. Für Vereinsvorstand Berger aber ist es ganz klar: "Technisch ist es machbar, finanziell ist es in einem Landkreis auch kein Problem. Ob es aber politisch durchsetzbar ist, weiß ich nicht." Für ihn stellt sich aber noch eine ganz andere entscheidende Frage: "Können wir einmal unseren Kindern und Enkeln sagen: Wir konnten es, wollten es aber nicht?"

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