Energiewende im Landkreis Starnberg:"Wir sind noch nicht weit gekommen"

Energiewende im Landkreis Starnberg: Josefine Anderer-Hirt, Klimaschutzmanagerin des Landkreises, ist federführend beim Klimapakt. 2018 stand für sie ganz im Zeichen der Solarkampagne. Doch: "Auch hier gibt's noch Luft nach oben", sagt sie.

Josefine Anderer-Hirt, Klimaschutzmanagerin des Landkreises, ist federführend beim Klimapakt. 2018 stand für sie ganz im Zeichen der Solarkampagne. Doch: "Auch hier gibt's noch Luft nach oben", sagt sie.

(Foto: Arlet Ulfers)

Der Klimapakt sieht Eigenversorgung mit Energie bis 2035 vor, doch die Zwischenbilanz ist laut Klimaschutzmanagerin Josefine Anderer-Hirt ernüchternd.

Interview von Otto Fritscher, Starnberg

Drei Jahre ist es nun her, dass im Landkreis Starnberg der Klimapakt geschlossen wurde von allen Landkreisgemeinden mit Ausnahme von Berg, dem Landkreis selbst und Verbänden wie der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (Gwt) und den Ammersee Wasser- und Abwasserbetrieben (AWA). Das Ziel: die Aufmerksamkeit für den Klimaschutz erhöhen und jedes Jahr neue Ziele und Maßnahmen in Angriff nehmen, um den Energieverbrauch und damit den CO₂-Ausstoß zu senken. Josefine Anderer-Hirt, Klimaschutzmanagerin des Landkreises, ist federführend beim Klimapakt. Der Klimaschutz könnte vielerorts mit mehr Elan angepackt werden - es gibt aber auch gute Beispiele, erklärt sie im SZ-Interview.

SZ: Welchen Sinn hat der Klimapakt?

Anderer-Hirt: Er stellt eine öffentliche Selbstverpflichtung für beherzten Klimaschutz dar. Der Hintergedanke dabei ist - offen gesagt - sanften Druck zu schaffen.

Die Adressaten sind die Gemeinden des Landkreises, die auch alle brav beigetreten sind - bis auf Berg. Was ist da los?

Naja, wie soll ich sagen, der Bürgermeister ist der Meinung, dass er mit den vier Windrädern schon sehr viel für den Klimaschutz getan hat, und jetzt erst mal die anderen Gemeinden nachziehen sollen . . .

Wie kommt der Klimaschutz-Gedanke bei den übrigen 13 Gemeinden an?

Das ist unterschiedlich. In den Gemeinden Andechs und Pöcking ist der Klimaschutz von den Bürgermeistern zur Chefsache erklärt worden. Pöckings Bürgermeister Rainer Schnitzler hat etwa drei Mal im Gemeindeboten auf die Wichtigkeit dieser Aufgabe hingewiesen und sogar eine Halbtagesstelle für den Klimaschutz geschaffen. In Andechs geht es um eine gemeinsame Energieversorgung für Grundschule, Rathaus, Kindergarten und Turnhalle. Bürgermeisterin Anna Neppel hat auch die Schulen mit einbezogen. So gibt es etwa das "Energiespardorf" - ein Planspiel für Kinder zur Energiewende, bei dem Kinder unter anderem Gemeinderäte sind und die Energiewende vorantreiben sollen.

Der Grundgedanke war doch mal, auch nachzuschauen, ob die von den Gemeinden jedes Jahr angekündigten Maßnahmen auch tatsächlich realisiert worden sind oder nur auf dem Papier stehen. Was ist daraus geworden?

Nun, es war schnell zu merken, dass sich die Gemeinden nicht kontrollieren lassen wollen. Wir wollen auch niemanden an den Pranger stellen und geben deswegen auch keine Ranglisten heraus.

Welche Maßnahmen haben den Klimaschutz weitergebracht?

Energiewende im Landkreis Starnberg: Josefine Anderer-Hirt, Klimaschutzmanagerin des Landkreises, ist federführend beim Klimapakt. 2018 stand für sie ganz im Zeichen der Solarkampagne. Doch: "Auch hier gibt's noch Luft nach oben", sagt sie.

Josefine Anderer-Hirt, Klimaschutzmanagerin des Landkreises, ist federführend beim Klimapakt. 2018 stand für sie ganz im Zeichen der Solarkampagne. Doch: "Auch hier gibt's noch Luft nach oben", sagt sie.

(Foto: Arlet Ulfers)

Zum Beispiel die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED-Technik. Feldafing hat das komplett gemacht, und dafür 180 000 Euro ausgegeben. Auch andere Kommunen wie Starnberg sind dabei, die Stadt hat aber ein erheblich größeres Straßennetz. Aber das führt beim Stromverbrauch immerhin zu einer Einsparung von 14 Prozent, das macht sich tatsächlich in der Energiebilanz des Landkreises bemerkbar.

Wie schaut es aus bei der Photovoltaik?

Ich verweise auf die aktuelle Solarkampagne. Auch hier gibt's noch Luft nach oben: Solarenergie wird bundespolitisch nur mit angezogener Handbremse gefördert. Sie ist trotzdem wirtschaftlich. Gerade bei Eigenheimen liegt viel Potenzial brach. Ich kann das Jammern über hohe Strompreise nicht mehr hören: Viele Eigenheimbesitzer könnten sich mit einer PV-Anlage ihre Strompreisbremse aufs Dach schnallen.

Welche positiven Beispiele gibt es?

Die Gemeinde Gilching hat für zwei Schulen von unterschiedlichen Trägern ein gemeinsames Energieprojekt auf die Beine gestellt. Die gemeindeeigene Grundschule und das Gymnasium, das einen Zweckverband als Träger hat, werden über ein Blockheizkraftwerk und eine Photovoltaikanlage mit Wärme und Strom versorgt. Das war juristisch und rechtlich keine einfache Konstellation. Am Projekt beteiligt waren Energiegenossenschaft Fünfseenland und Regionalwerk Würmtal. Überhaupt haben wir in der Region viel Knowhow, was regenerative Energien betrifft. Das wird auch genutzt. Die Gemeinden Krailling und Feldafing lassen ihre kommunalen Liegenschaften von externen Fachleuten betreuen. Starnberg plant Nahwärmeversorgung für das Neubaugebiet am Wiesengrund. Dort soll bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden - so klimaschonend wie möglich.

Was sind wichtige Maßnahmen, um bei Gebäuden, die den Gemeinden gehören, Energie zu sparen?

Erster Schritt ist es, den tatsächlichen Energieverbrauch zu erfassen und zu überwachen zum Beispiel per Funkerfassung. Da werden die Daten alle 15 Minuten übermittelt, und es fällt sofort auf, wenn es Abweichungen gibt. Da weiß der Verantwortliche sofort, dass er nachschauen muss.

Wie ausgeprägt ist der Klimaschutzgedanke bei der heimischen Wirtschaft?

Info

Der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in den Gemeinden für 2017 samt Herstellungsart - neben Solarstrom - im Vergleich zu 2013:

1. Berg (Solar+Wind) 100,3% (+94)

2. Gauting (+Biom., Wasser) 19,4% (+5)

3. Seefeld 18,0% (+3)

4. Inning (+Biomasse) 15,4% (+4)

5. Wörthsee (+Biomasse) 14,3% (+3)

6. Tutzing 13,0% (+3)

7. Andechs 11,5% (+1)

8. Krailling (+Biomasse) 9,7% (+6)

9. Gilching 8,1% (+2)

10. Starnberg 6,3% (+2)

10. Pöcking 6,3% (+2)

12. Herrsching 4,5% (+1)

13. Feldafing 4,2% (+1)

14. Weßling 3,0% (+0,4)

Landkreis Starnberg 14,5% (+7)

Quelle: Landkreis, Energiebericht 2019

Es gibt zwar einige positive Beispiele, aber viele haben - zu Recht - mehr den Wohnungs- und Fachkräftemangel und die Verkehrsprobleme im Fokus. Trotzdem wünsche ich mir da mehr Engagement.

Ist die vom Kreistag beschlossenen Energiewende noch zu schaffen? Der Landkreis soll bis zum Jahr 2035 energieautark werden.

Schwierige Frage. Leider sind die Bemühungen, neue Windräder zu bauen, fast völlig zum Erliegen gekommen. Dabei hätten wir im Landkreis mit dem Teilflächennutzungsplan gute Voraussetzungen. Denn man kann es drehen und wenden wie man will: Unser politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln muss geprägt sein von der Sorge um knappe Ressourcen und die Zukunft der Erde. Das gelingt nur mit einer Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft und eine querschnittsorientierte Denkweise.

Was heißt das für die Energiewende?

Wir sind noch nicht besonders weit gekommen und müssen deutlich mehr dafür tun. Der Anteil der regenerativen Energie im Landkreis beträgt rund 14,5 Prozent, bundesweit sind es mehr als 40 Prozent.

Was sind die Gründe dafür in einem Landkreis, der sich sonst in vielen Bereichen an der Spitze sieht?

Da gibt es mehrere Gründe: Die relativ dichte Besiedelung, der hohe Anteil an Landschaftsschutzgebieten, aber auch die Auflagen von Ausschreibungen, Brandschutz und andere Stolpersteine, die knappen personellen Kapazitäten in kommunalen Verwaltungen. Insbesondere die bundes- und landespolitischen Rahmenbedingungen machen es oft richtig schwer, den Klimaschutz zu fördern. Aber: Aus vielen Köpfen ist der Klimaschutz nicht mehr wegzudenken.

Wie stehen Sie zu den Freitagsdemonstrationen der Schüler?

Ich finde sie gut. Seitdem Schüler auf die Straße für den Klimaschutz gehen, bekommen die Verantwortlichen signalisiert, dass endlich was passieren muss. Schüler haben ja keine andere Wahl, sich zu artikulieren, als auf die Straße zu gehen.

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