Süddeutsche Zeitung

Ende einer Wirtshaus-Institution:Vorhang zu im Vergnügungspalast

Im Heide-Volm in Planegg fanden Faschingsnarren und Rockfans, Politiker und Stammtischbrüder, Orchideenzüchter und Löwen-Fußballer über Jahrzehnte hinweg die große Bühne. Das ist jetzt aus und vorbei

Von Rainer Rutz

München hat den Nockherberg, Planegg hat den Volm-Berg. Hatte, muss es heißen. Denn wo vor einigen Wochen noch direkt am Bahnhof der riesige Bau des Wirtshauses Heide-Volm samt Festsaal und Biergarten den südlichen Eingang in den Vorort Planegg markierte, türmt sich jetzt ein Trümmerhaufen. Mit dem Abriss des Festsaals hat die Gemeinde ein Wahrzeichen verloren. Mehr als 90 Jahre haben Generationen der Wirtsleute das weithin prominente Veranstaltungszentrum geführt, über Kriege und wirtschaftliche Dürren hinweg. Für Abertausende von Menschen war der markante Steinbau beliebter Treffpunkt, einfach so auf ein Bier mit Brezn und Radi oder ein Sonntags-Mittagessen nach einem Besuch der Luftlinie nur 500 Meter entfernten Wallfahrtsstätte Maria Eich. Ob es Corona war, das den Wirtsleuten letztlich den Garaus gemacht hat oder aber ein anderes Kalkül hinter der doch überraschenden Total-Aufgabe steht, bleibt dahingestellt. Die Wirtsleute sagen nichts mehr dazu, haben alles Anwälten übergeben, die den Laden jetzt abwickeln, sprich verkaufen sollen. Aus und vorbei. Zeit für einen Nachruf.

Was sich in der rund 1000 Gäste fassenden Festhalle und den kleineren Nebensälen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs alles mit Rang und Namen getroffen hat, ist Legion: Praktisch die gesamte politische Freistaat-Elite machte dort Wahlkampf oder mischte sich am Stammtisch unters Wahlvolk. Ein paar seien genannt: Horst Seehofer, Markus Söder, Bruno Merk, Theo Waigel, Thomas Goppel, Klaus Kinkel, Christian Ude, Abgeordnete und Generalsekretäre; so manche bundesweite Karriere wurde im Heide eingefädelt. Wobei sich der ehemalige Münchner Oberbürgermeister gleich mehrfach einen besonderen Namen gemacht hat, etwa bei den jährlich stattfindenden Orchideentagen, wo im Beisein internationaler Presse stets eine neue Züchtung präsentiert wurde: beispielsweise die prächtige Hybride"Phalaenopsis Christian Ude".

Damit ist man schon beim zweiten Schwerpunkt der Traditionsgaststätte, die, vor allem im Fasching, zum Vergnügungszentrum mutierte, wohl dem größten im südlichen Bayern. Legendär der Feuerwehrball, das Auftreten der "Würmesia", die Karl-Valentin-Abende, die "99 narrischen Würmtaler". Dazu das vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnete hinterfotzige "Würmtal-Derbleckn" mit Florian Ernstberger und Georg Heide, das oft genug für belämmerte Gesichter sorgte.

Über die Jahrzehnte hinweg war der - manche sagen auch das oder sogar die - Heide-Volm sowohl ein Zentrum für Volksmusik als auch ein gigantischer Würmtal-Rockpalast, der Menschen aus ganz Bayern anzog. Regelmäßig legte hier etwa die Spider Murphy Gang los, auch ein Würmtal-Gewächs. Nach einem ihrer größten Auftritte 1999 im Volm titelte die Süddeutsche Zeitung: "Es wippt und wogt und klatscht und strampelt". Der Chronist erinnert sich auch gut an die vielen lauen Sommerabende, an denen er beim Gassigehen im Gräfelfinger Paul-Diehl-Park bei günstiger Windrichtung die Softrock-Rhythmen der Cover-Band Cagey Strings herüberwabern hörte. Oder den Sound der Altrocker um Paul Würges. Oder die Schlager von Gus Backus - falls den noch jemand kennt. Einmal im Jahr wurde am Volm-Berg der Rock'n'Roll-Landesmeister gekürt, 2004 fand dort sogar eine Weltmeisterschaft statt: der "Boogie-Woogie-World-Cup". Und natürlich die Kabarett-Abende: Die Biermösl Blosn, Gerhard Polt, Sigi Zimmerschied, alle waren regelmäßig da.

Alles anders am Planegger Bahnhof

Dass der Heide-Volm-Festsaal den großen Umgestaltungsplänen für das Planegger Bahnhofsumfeld zum Opfer fallen wird, stand früh fest. Die Wirtsfamilie wollte stattdessen auf dem Areal an der Südseite der Bahnhofstraße ursprünglich ein Hotel bauen, nach zähen Verhandlungen einigte sie sich mit der Gemeinde auf einen Supermarkt, Wohnungen und eine Tiefgarage - als Teil des ausgetüftelten Bebauungsplans. Von der Schließung des Lokals und des Biergartens war nicht die Rede. Ganz überraschend verkündete die Familie Heide Mitte März auf Facebook sehr wortkarg das Aus auch für die seit fast 100 Jahren bestehende Gaststätte. Sie begründete den Schritt mit der "anhaltenden Pandemie" und der "Perspektivlosigkeit" für eine baldige Öffnung. Und schob kaum zwei Wochen später nach, sie wolle ihr gesamtes, rund 13 000 Quadratmeter großes Grundstück an einen Investor verkaufen. Im Planegger Rathaus löste das einen Schock aus. Es würde bedeuten, dass der komplette, über zehn Jahre entwickelte Bebauungsplan mit Architektenwettbewerben und Bürgeranhörungen wieder aufgerollt werden muss. Die Gemeinde verhandelt nun mit den Anwälten der Familie Heide, ob sie den Grund selbst kaufen kann. SZ

Der Hobbykünstlermarkt und der Antiquitätenmarkt hatten einen Ruf in ganz Deutschland, der TSV 1860 München hielt im Heide-Volm etliche seiner oftmals turbulenten Mitgliedertreffen ab. Planeggs Städtepartnerschaften mit dem französischen Meylan, dem ostdeutschen Bärenstein, dem Südtiroler Klausen und dem britischen Didcot wurden aufwendig gefeiert. Auch die Münchner Schäffler fanden sich ein, Abiturienten aus München tanzten zum Abschlussball an.

Es war aber nicht nur die große Gaudi, die Heide-Volm berühmt und beliebt machte. Auch gestritten wurde, zum Beispiel öffentlich über das bundesweit geplante totale Rauchverbot. Der 2011 verstorbene Wiesn-Wirt und Volm-Chef Willy Heide war strikt dagegen. Wie viele andere befürchtete er einen Imageverlust und finanziellen Einbruch für seine Wirtschaft. Heute lächelt man darüber. Der SPD-Abgeordnete Otto Schily stritt sich mit dem Physiker und Biologen Ernst Ulrich von Weizsäcker über "Globalisierung und Weltwirtschaft". Der Arzt und Cap-Anamur-Begründer Rupert Neudeck berichtete vor Hunderten von Zuhörern von der verzweifelten Lage von Flüchtlingen weltweit.

Von Münchnern und bayerischen Medien wurde der Heide-Volm mehrmals zum "Besten Biergarten" gekürt. Über den riesigen Biergarten muss man nicht viele Worte verlieren. Er war geradezu klassisch-bayerisch: Unter alten Kastanien, im großzügigen hinteren Teil mit Selbstbedienung, an den Tischen fanden sich die Familien mit Kindern ebenso wie bekannte Eigenbrötler, denen die Bedienung automatisch die Maß nachschob. Um die Jahrtausendwende installierte Heide mitten im Biergarten einen kreisrunden Pavillon, wie es sie auf der Wiesn zu Dutzenden gibt. Hier wurde guter Wein ausgeschenkt, Grappa und Espresso. Italien im bayerischen Biergarten mitten im Würmtal. Alles aus und vorbei, man mag's kaum glauben.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2021
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