Süddeutsche Zeitung

Fitness:Ab ins Eisbad

In der kalten Jahreszeit steigt Tim Reich aus Herrsching gerne gemeinsam mit einer Gruppe Gleichgesinnter in den See. Wie sich die Teilnehmer auf die Grenzerfahrung vorbereiten.

Von Sabine Bader, Herrsching

Puh, ist das eisig! Es gehört Überwindung dazu, in einen kalten See zu steigen. Schon jetzt im Herbst heißt es, Zähne zusammenbeißen, aber im Winter, wenn man mit Eispickel loszieht, ist der Weg ins Wasser ungleich härter. Zwei- bis dreimal pro Woche geht Tim Reich aus Herrsching Eisbaden. Für ihn ist das eine recht leichte Übung - weil er weiß, wie man sich auf die Kälte vorbereitet.

Eine Grenzerfahrung für Körper und Kopf

Für Reich geht es um mehr als um Sport. Eisbaden sei für ihn eine "gute Grenzerfahrung für Körper und Kopf", wie er sagt. Um diese Jahreszeit spricht er noch gar nicht von Eisbaden, sondern von Kaltbaden. Er startet schon jetzt durch, damit sich der Körper möglichst frühzeitig an die immer kälter werdenden Wassertemperaturen gewöhnt, "noch bevor die Eisschollen auf den Seen treiben." Der 25-jährige Berliner lebt seit zwölf Jahren in Herrsching, seit gut einem Jahr wohnt er mit seiner Freundin zusammen. Er hat Fitnessökonomie studiert und in diesem Fach seinen Bachelor gemacht.

Um die Grenzerfahrung mit anderen Menschen zu teilen - das heißt, mit ihnen ins kalte Wasser zu steigen - , hat er eine Initiative gestartet. Wer macht denn das? Mit fremden Leuten in einen kalten See steigen? Gemeinsam mit dem eigenen Partner mag das vielleicht noch angehen, aber in einer größeren Gruppe? Damit jeder mitkriegt, was man für eine jämmerliche Frostbeule ist? Reich hat allerdings die gegenteilige Erfahrung gemacht. Er habe festgestellt, dass sich die Leute offenbar nicht davor scheuen, mit anderen gemeinsam in den eiskalten Ammersee oder Pilsensee zu steigen. Reichs These: "Wenn man sieht, die anderen gehen rein, traut man sich selbst vielleicht auch."

Für ihn ist die richtige Vorbereitung das Wichtigste beim Eisbaden. Gestartet wird mit einer Atemübung, dem sogenannten holotropen Atmen. Es zeichnet sich durch ganz tiefe Atemzüge aus. Das reichert den Körper extrem mit Sauerstoff an. Und nach 30 Atemzügen atmen die Teilnehmer komplett aus und halten die Luft für ein, zwei oder drei Minuten an, erläutert er. Das Ganze wiederholen sie zwei bis drei Mal. Durch diese Methode komme man mental in einen ganz entspannten Zustand und werde ruhig im Kopf. Die tiefe Atmung unterdrückte auch die Schmerzrezeptoren. Das bedeute, das kalte Wasser werde nicht mehr als so unangenehm empfunden. Reich leitet die Teilnehmer seiner Gruppe an, ganz langsam ins Wasser zu gehen. "Wir springen nicht rein." Auch geschwommen werde nicht, der Kopf bleibe stets über Wasser. Die zum Hecheln verleitende Stressreaktion, die durch das kalte Wasser entsteht, umgehen die Teilnehmer laut Reich, indem sie weiter tief atmen. Im Wasser bleibe man höchstens fünf Minuten, meistens nur zwei oder drei. "Wenn man sich so fühlt, als könnte man für immer drin bleiben, dann kann man wieder rausgehen."

Wer glaubt, dass jetzt alle schnell in die mitgebrachten Daunenanoraks schlüpfen, der irrt: "Wir ziehen uns nicht sofort wieder an, sondern lassen den Körper von selber wieder aufwärmen," sagt Reich. Erst dann geht's in die Klamotten. "Das ist wichtig, weil es dem Körper die Fähigkeit gibt, gut zu durchbluten." Momentan gehören zehn bis 15 Leute zu Reichs Gruppe. Sie sind zwischen 20 und 80 Jahre alt. "Und wir feiern auch bald eine Hochzeit", erzählt er. Ein 72-jähriger Teilnehmer der Gruppe heirate. Natürlich mit einem Bad im See, wie es sich für echte Eisbader gehört. Am Valentinstag haben die Gruppenmitglieder auch schon mal ein Loch in Herzform ins Eis geschlagen und sich gemeinsam ins Wasser gestellt. In Reichs Badegruppe mitzumachen, kostet übrigens nichts.

Die Gruppe badet an drei Orten. Jeder von ihnen hat für Reich seinen eigenen Reiz: die Seepromenade am Herrschinger Ammerseeufer, das Strandbad am Pilsensee und der große Andechser Weiher. Entschieden wird spontan, wo es als nächstes hingeht. Die Treffen gibt Tim Reich, der seinen Lebensunterhalt als Personaltrainer verdient und das Eisbad-Projekt gemeinsam mit Mario Ströhlein aus der Taufe gehoben hat, im Internet über seine Homepage bekannt.

Ach ja, und noch etwas: Nicht jeder geht letztlich ins eiskalte Wasser. Manchmal bricht auch jemand vor dem Untertauchen ab. "Das ist auch kein Problem," findet Tim Reich.

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