Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel:Mundschutz made am Ammersee

Freiwillige im Fünfseenland nähen hunderte Behelfsmasken für soziale Einrichtungen. In Herrsching entwickeln zwei Studenten einen Online-Vertrieb, um Schneider und Händler in der Krise zu unterstützen.

Von Jessica Schober

Das begehrtestes Kleidungsstück des Frühjahrs 2020 ist kein Verkaufsschlager der Modebranche: Nachdem ein Nasen- und Mundschutz beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln von diesem Montag an Pflicht ist, sind die Textilien vielerorts nahezu ausverkauft. Im Fünfseenland nähen Freiwillige deshalb fleißig Masken selbst. Zwei clevere Studenten aus Schondorf haben in kurzer Zeit eine Kooperation mit lokalen Schneidereien aufgebaut und vertreiben ihre "Ammerseemasken" nun online. Inzwischen werden auch die Nähutensilien knapp.

Bei der Herrschinger Insel haben Freiwillige mehr als 400 sogenannte Behelfsmasken genäht für die Kunden der Tafel und die ehrenamtlichen Mitarbeiter wie Einkaufshelfer. Nun werden die Vorräte knapp. "Wir benötigen dringend Baumwollstoffe, Nähgarn aus Baumwolle, rostfreien Draht und Gummiband mit maximal acht Millimetern Breite", sagt Sozialpädagogin Barbara Meier-Steiger. "Wer von diesen Dingen etwas daheim hat und es entbehren kann, den bitten wir es zu spenden und in den Behälter am Hintereingang der Insel in der Bahnhofstraße 38 zu legen." Alternativ bietet die Insel einen kontaktlosen Abholservice an und ist dafür unter der Telefonnummer 08152/993 80 30 zu erreichen. Auch Helfer für das Nähen der Masken in den eigenen vier Wänden werden noch gesucht. "Wir machen das alles ehrenamtlich", versichert Meier-Steiger. Die Behelfsmasken seien zwar in keiner Weise zertifiziert, aber "besser als nichts".

In Starnberg hat die Lebenshilfe nach einem Aufruf inzwischen mehr als 600 selbst genähte Gesichtsmasken in allen Farben und Formen erhalten. Die Geschäftsführerin Edith Dieterle freut sich sehr über den abgegeben Mund- und Nasenschutz. "Mit den Gesichtsmasken können die von uns betreuten Menschen mit Behinderungen vor einer Ansteckung geschützt werden", sagt Dierle. Selbst genähte Masken können weiterhin in der Leutstettener Straße 22 abgegeben werden.

Einen Onlinevertrieb regional genähter Masken haben in der Zwischenzeit zwei junge ehemalige Schulfreunde aufgebaut: Der 21-jährige BWL-Student Wolfgang Scheitz aus Herrsching und der 20-jährige Ingenieurwissenschaftler Marius Merkle aus Schondorf haben nicht nur eine eigene Webseite unter dem Namen www.ammerseemasken.de gestaltet, sondern auch lokalen Schneidereien zu neuen Aufträgen verholfen. "Wir wollen nicht darauf warten, dass irgendwann wieder Masken aus China von Amazon geliefert werden, sondern lieber zur regionalen Wertschöpfung beitragen", sagt Scheitz. "Es wäre doch ärgerlich, wenn das lokale Handwerk überhaupt nicht von dieser Nachfrage profitiert und professionelle Schneiderinnen in Kurzarbeit geschickt werden", sagt Scheitz. Deshalb haben sich die beiden Schulfreunde zusammengetan und zunächst mit einem Verkaufsstand vor Supermärkten in Schondorf und Herrsching klein angefangen. "Aber wir ertrinken gerade in Anfragen und wollen uns jetzt lieber auf den Onlinehandel konzentrieren."

Sie versprechen "stilvolle Masken aus bayerischem Trachtenstoff", der Shop bietet beispielsweise die Farben "Smaragdgrün" oder "Enzian-gemustert" an. Zehn Euro hat das Stoffstück zunächst gekostet, doch inzwischen haben Scheitz und Merkle die Preise auf 15 Euro erhöht. Anfangs gingen pro verkaufter Maske zwei Euro an den Verein "Ammersee Gemeinsam" aus Schondorf, inzwischen werden von den Einnahmen Einrichtungen und Institutionen unentgeltlich mit Masken ausgestattet. Den Schneiderinnen, die täglich 50 bis 70 der "Ammerseemasken" produzierten, zahlen die beiden einen Stundenlohn von 20 bis 25 Euro. Die Trachtenstoffe waren anfangs Spenden der "Rockmacherin" aus Schondorf und von "Hemberger's Tracht und Zeitlos" aus Herrsching.

Jetzt, da die Nachfrage so explodiert, will Scheitz auch Stoffe zukaufen. Scheitz zufolge profitieren damit alle von den Behelfsmasken, die nach seiner Aussage "fair und regional" sind. Ein Supermarktbesucher sah das neulich anders und rief die Polizei, als er den Maskenverkaufsstand sah, an dem die Textilien noch für zehn Euro angeboten wurden. Sein Vorwurf: Die beiden jungen Männer würden die Notsituation ausnutzen und Wucherpreise verlangen. Dagegen rechtfertigt sich Scheitz: "Für eine professionell genähte Maske ist das ein Symbolpreis. Wir wollen, dass das Handwerk sich in der Region hält - wir selbst werden keine goldene Nase dabei verdienen", sagt der BWL-Student. Je 200 Arbeitsstunden hätten er und sein Freund in das Projekt bereits investiert. Er sei momentan bis zu 19 Stunden am Tag mit dem Projekt beschäftigt - mit dem Ziel, möglichst viel für den Verein spenden zu können.

Auch andere Institutionen helfen: Der Rotary Club Wörthsee hat etwa 1000 hochwertige FFP2-Schutzmasken an soziale Einrichtungen, Feuerwehren, Kirchen und die Wasserwacht in der Region verteilt, wie Rotary-Präsident Stephan Coester am Sonntag mitteilte. Die Masken wurden als Spende an die Nachbarschaftshilfen Wörthsee und Seefeld, an die Feuerwehren Steinebach, Walchstadt, Etterschlag und Herrsching, an die Organisation "Walchstadt hilft", an das Urban Dettmar Haus, an die Kirchen in Wörthsee, Seefeld und Herrsching, an den Seniorenbeirat Wörthsee, an den Hilfsdienst Herrsching, an den Hilfsdienst Thurner, an die Wasserwacht Wörthsee sowie an d eine Arztpraxis in Wörthsee übergeben. Hilfe haben die Rotarier auch in Form einer Geldspende über 2100 Euro ihrem norditalienischen Partnerclub RC Cairoli zukommen lassen, welcher das Geld ebenfalls in Schutzmasken investieren will.

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SZ vom 27.04.2020
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