Süddeutsche Zeitung

Ehrenamt:Mission auf hoher See

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Der Starnberger Architekt Sampo Widmann geht im Auftrag der Hilfsorganisation "Sea-Eye" als Kapitän an Bord eines ehemaligen Fischkutters. Vor der Küste Libyens will er Flüchtlingen in Seenot helfen.

Von Thorben Pollerhof, Starnberg

Sampo Widmann hat viel in seinem mittlerweile 74-jährigen Leben gesehen. 1982 hat er sein erstes Segelboot gekauft, seit 1992 umsegelt er damit die Weltmeere. Anfangs nur im Mittelmeer unterwegs, verschlug es ihn schnell in die größeren Gewässer, in den Atlantik, den Pazifik, den indischen Ozean - und in allen wichtigen Häfen hatte er sein Segelboot bereits liegen, aktuell ist es in Singapur. Nun beginnt für den erfahrenen Segler ein neues Abenteuer. Er fliegt nach Malta, um von dort aus für die Hilfsorganisation "Sea-Eye" Rettungsmissionen vor der Küste Libyens zu fahren.

Widmann wurde in Marquartstein am Chiemsee geboren, seit sechs Jahren wohnt er nun in Starnberg und war Professor für Architektur, genauer für Entwerfen und Baukonstruktion, an der Hochschule München. Mit 65 ging er in Rente. Vom 28. Juli an ist er nun offiziell Kapitän der "Seefuchs", eines ehemaligen Fischkutters aus der Nordsee. Hochseetüchtig ist das Boot, dafür mit einer Länge von 26 Metern relativ klein. "Sea-Eye" hat im Vergleich zu den anderen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor der Küste Libyens die zwei kleinsten Schiffe. Die komplette Crew arbeitet ehrenamtlich. "Wir zahlen sogar unsere Flüge nach Malta selber", sagt Widmann und schließt direkt daran an, das sei kein Vorwurf, sondern eine Tatsache. Die Crew besteht aus zehn Mitgliedern, Männern und Frauen aus aller Welt. Alle 14 Tage wechselt die Besatzung. Widmann selbst bleibt erst einmal für vier Wochen im Süden, er hat gleich zwei Schichten übernommen.

Über die Zeitung ist er auf die Organisation "Sea-Eye" aufmerksam geworden. Die "Seefuchs" fährt als Sportschiff, den dafür nötigen Schein hat Widmann. Also meldete er sich als Kapitän an und steht nun vor seiner ersten Rettungsmission. "Das ist etwas, wo ich ganz persönlich vor Ort etwas tun kann". Vorher hat er in Tutzing für Flüchtlinge gearbeitet und Fahrräder repariert.

Erfahrung mit dem Schiff hat er bereits. Im Mai setzte er die "Seefuchs" aus dem französischen Brest hinüber nach Malta, wo die Zentrale von "Sea-Eye" liegt und von wo aus alle Einsätze gefahren werden. Die Einsatzziele sind gesichtete Schlauchboote, die aus Libyen starten. Auf so einem Boot sitzen meistens 100 bis 150 Flüchtlinge. "Die bekommen von uns Schwimmwesten. Und wenn sie bereits länger als einen Tag unterwegs sind, auch Wasser". Kinder, Frauen und Verletzte nimmt das Boot in der Regel mit auf. Es ist immer ein Arzt an Bord, der sich um sie kümmern kann. Dann melden sie ihre Beobachtungen dem Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC), der internationalen Rettungsstelle. Selber bringen sie die Geretteten allerdings nie nach Italien. Meist kommt die italienische Küstenwache vorbei und holt sie ab. Da die "Seefuchs" zu groß ist, um an ein herkömmliches Schlauchboot anzulegen, hat der ehemalige Fischkutter ein eigenes großes Schlauchboot dabei, das die Flüchtlingsboote schließlich versorgt. Im Falle eines sinkenden Schlauchboots wirft die "Seefuchs" eine sogenannte Rettungsinsel aus, die ähnlich wie ein Schlauchboot aussieht und auf dem circa 25 Menschen Platz haben.

Das Argument vieler NGO-Gegner lautet: Schiffbrüchige zu retten ist Pflicht, sie zu suchen aber nicht. "Wir bekommen mehr als die Hälfte unserer Aufträge vom MRCC". Die Leitstelle in Rom ist für das Mittelmeer zuständig, dort kommen die Notrufe an, von dort werden sie an die verschiedenen NGO-Schiffe weitergegeben. Denn: das internationale Seerecht ist eindeutig. Wer einen Hilferuf bekommt, muss ihm folgen. Davon sind in internationalen Gewässern auch keine privaten Schiffe ausgenommen. Ein weiterer Vorwurf, der unter anderem vom CSU-Abgeordneten Michael Frieser erhoben wird, ist, dass die Schiffe sich per Lichtzeichen mit den Schleusern absprechen würden. Hans-Peter Buschheuer, Pressesprecher von "Sea-Eye", dementierte das gegenüber dem Deutschlandfunk. Die Erdkrümmung verhindere, dass Lichtzeichen über eine so große Distanz überhaupt sichtbar seien. Außerdem würden die meisten Rettungen tagsüber passieren. Und auch Widmann spricht sich gegen diesen Vorwurf aus. "Die Schleuser wollen einfach nur Geld verdienen. Das ist denen vollkommen egal, ob die ertrinken. Eine Zusammenarbeit bringt denen überhaupt nichts".

Er redet über das Thema als sei er ein alter Hase - dabei ist das seine erste Rettungsmission. "Seitdem ich das Schiff nach Malta übergesetzt habe, bereite ich mich nur auf diese Rettungsmission vor". Er kennt die technischen Daten des Schiffs, weiß, wie ein Einsatz aussehen soll und kennt auch die Probleme, die auf ihn und seine Crew zukommen können. Teil der Überfahrt im Mai war auch ein ausführliches Training, damit alle Handgriffe auf und unter Deck sitzen. Wichtig sind für Widmann in seiner Rolle als Kapitän die zwischenmenschlichen Fähigkeiten. "Es kommt eine Crew zusammen aus Leuten, die ich nicht kenne. Und daraus muss ich dann ein Team formen". Immerhin kommt es auf den Rettungsmissionen oft zu Situationen, in denen auch die Psyche strapaziert wird. Er plant jeden Tag ein gemeinsames Essen, professionelle Küche, Ablenkung und Unterhaltung durch Musik oder Geschichten-Erzählungen.

Angst hat er vor der kommenden Aufgabe keine. Das Schlimmste wäre für ihn die Erstürmung des eigenen Schlauchboots durch Flüchtlinge. "Dann muss ich als Kapitän die Entscheidung treffen, uns selber in Sicherheit zu bringen". Denn das Wohl der Besatzung stehe über allem. Und auch um Piraten, die laut Widmann vor Libyen nicht mehr existieren, und um die libysche Küstenwache macht er sich keine Sorgen. "Die beschießen keine NGOs und wir werden uns auf keinen Fall mit denen anlegen". Auf die Frage, warum er das eigentlich genau macht, antwortet er schnell: "Wir können die Menschen doch nicht ertrinken lassen". Im Oktober steht bereits seine nächste Runde für "Sea-Eye" an. Im Winter will er dann sein Schiff aus Singapur holen und es wieder zurück ins Mittelmeer bringen, um die Weltumseglung damit perfekt zu machen.

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Quelle:
SZ vom 24.07.2017
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