Gitarreneffekte:Was Musiker glücklich macht

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Marc Widmaier, Geschäftsführer der Firma SpaceControl in Seefeld, fertigt Verzerrer und Kompressoren. Nun plant er einen Neustart seiner "Ohmless"-Pedale.

Von Gerhard Summer, Seefeld

Aufgeräumt: Marc Widmaier in seinem Büro in der Seefelder Firma SpaceControl. (Foto: Nila Thiel)

Marc Widmaier ginge wohl auch auf den zweiten Blick als jüngster Effektgeräte-Hersteller Deutschlands durch. Dunkle glatte Haare, jungenhaftes Gesicht, Boxernase, kaum ein Hauch von Bart. Ja, er trägt einen goldenen Ehering an der linken Hand, trotzdem könnte man glauben, der Mann habe gerade mal vor fünf Jahren das Abitur hinter sich gebracht. Dass man ihm sein Alter nicht ansieht, sei tatsächlich so etwas wie das "Problem meines Lebens", sagt Widmaier und erzählt die Geschichte eines schwierigen Kaufs: Zu seinem 30. Geburtstag wollte er einen Kasten Radler in einem Penny-Markt erstehen, doch die Kassiererin nahm ihm nicht ab, dass er schon 18 ist. Sie verlangte seinen Personalausweis, gratulierte ihm am Ende aber nicht mal - Letzteres nahm er der Frau übel.

Jetzt steht wieder so eine Art Geburtstag an: Wegen der Corona-Pandemie war Widmaiers Absatz "total eingebrochen", denn "die Leute haben nichts mehr gekauft". Nun zieht das Geschäft wieder an, und der inzwischen 35-jährige Geschäftsführer der Seefelder Firma SpaceControl plant einen Neustart seiner "Ohmless-Pedals". Ende Juni soll der erste Streich auf den Markt kommen: ein Overdrive mit Mikroprozessor. Ein Fuzz, ein Kompressor und eine Toolbox für den digitalen Gitarrenverstärker Kemper sollen folgen. Die schlicht gestylten Bodenpedale haben eines gemeinsam: Sie lassen sich über einen sogenannten Midi-Controller steuern und programmieren. So wird es beispielsweise möglich, unter vier verschiedenen Verzerrer-Modi mit unterschiedlicher Dynamik zu wählen. "Ich will alles ein bisschen flexibler machen", sagt der Ingenieur, "nicht nur ein analoges Ding, das man an- und ausschalten kann." Was durchaus als Understatement zu verstehen ist: Schon das alte "Ohmless"-Fuzz etwa hat mehr auf dem Kasten als etliche Konkurrenzprodukte und ist überraschend vielseitig.

Extravagant gestaltet: Kompressor mit Schmetterlingsmotiv. (Foto: Nila Thiel)

Bodenpedale? Widmaier, der einzige Effektgeräte-Produzent im Fünfseenland, mischt in einem riesigen Markt mit. Allein in den USA sind 2020 angeblich 1,2 Millionen Gitarren- und Basseffekte verkauft worden. In Deutschland schwingt ein gutes Dutzend sogenannter Boutique-Hersteller den Lötkolben. Denn die Wunderkistchen mit ein paar Reglern und Buchsen sind für Gitarristen und Bassisten fast so etwas wie Schuhe für Frauen: kleine Glücklichmacher. Accessoires also, die man vielleicht gar nicht braucht, aber trotzdem haben muss, heiß liebt oder innig verdammt und mit Füßen tritt, wenn man sie einschalten will. Die bunten Dinger können den bravsten Amp in ein spuckendes und brüllendes Monster verwandeln. Sie fügen Hall dazu und Delay. Lassen den Sound schweben. Machen ihn breiter. Ahmen das Rotieren einer Leslie-Box nach oder komprimieren das Signal.

Was alt ist und abgeschabt und angeblich himmlisch klingt, ist teuflisch teuer

Manche Musiker horten auf der ewigen Suche nach dem Ton-Paradies Hunderte der Geräte und bestücken damit große Boards. Die Preisspanne ist gewaltig: Den durchaus brauchbaren Billigeffekt aus China gibt's für 22,40 Euro. Für eine Box mit Kultstatus wie den originalen "Klon Centaur" blättert man derzeit schon mal 5000 Euro hin. Längst nämlich hat der Vintage-Hype auch diesen Markt im Griff: Was alt ist und abgeschabt und angeblich himmlisch klingt, ist teuflisch teuer.

Buffer mit Plömpel: Das kleine Pedal sol das Gitarrensignal auffrischen. (Foto: Nila Thiel)

Widmaier gehört nicht zu denen, die das Gras wachsen hören. Ihm sei es wichtig, bei seinen Geräten hochwertige Bauteile zu verwenden. Außerdem setze er auf ein "sauberes Layout der Platine", um sich möglichst wenig Rauschen einzufangen. Und: Seine Effekte "sollen nicht nur gut klingen, sondern auch gut aussehen". Bisher sorgte ein Designer aus der Schweiz dafür, dass sich Widmaiers Pedale auch optisch von der Masse abhoben: Ein Schmetterling mit verblasstem rechtem Flügel ziert seinen Kompressor. Sein Buffer, der dem Klangmuff zuleibe rückt, kommt mit Plömpel auf der Vorderseite daher. Und die Toolbox für den Kemper, die den Einsatz von Stereoeffekten vereinfacht, hat einen Wohnwagen als Erkennungszeichen, einen Camper. Diese filigranen Elemente "sind sehr schön, aber auch sehr aufwendig in der Produktion", sagt der Tüftler. Die neue Reihe fällt deshalb schlichter aus. Bei dem Verzerrer etwas setzt Widmaier auf edles Schwarz und goldene Drehknöpfe.

Zum Bau von Effektgeräten ist der gebürtige Heilbronner mehr oder minder durch Zufall und aus Langeweile gekommen. Mit 14 hatte er im Haus seines Opas eine Westerngitarre entdeckt, ein Freund brachte ihm erste Griffe bei, bald wechselte der junge Mann zur E-Gitarre und einem Multieffektgerät. Die bunten kleinen Bodentreter hat er erst seit zehn Jahren auf dem Radar: 2012 besuchte er seine Frau Jennifer, die damals für einige Zeit in Australien lebte, und lernte einen ihrer Freunde kennen: einen Gitarristen, der "ein Riesen-Pedalboard" mit analogen Tretern hatte. "So bin ich auf den Geschmack gekommen." Diplomingenieur Widmaier las sich in das Thema ein: "Ich verstehe eben gerne Sachen und habe ja nicht Elektrotechnik studiert, sondern Maschinenbau." Er besorgte sich Widerstände, Kondensatoren und ein Steckbrett und probierte erste Schaltungen aus. "Anfangs war das viel trial and error", meint er, also Versuch und Irrtum.

Der ehemalige BMW-Projektmanager tüftelt gern, jetzt verbindet er Hobby und Beruf

2013 startete er mit der Firma "Ohmless" und seinen Pedalen durch. Das Logo ist simpel und markant: ein Omega mit Blitz. Und Widmaier musste erst mal mit der Handwerkskammer darüber diskutieren, ob er als Maschinenbauer überhaupt "elektrotechnische Kleinschaltungen aufbauen darf". Die Zulassung auf dem deutschen Markt samt Entsorgungslizenz für Kartonagen und der Registrierung wegen des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes sei nicht ganz billig: "Die laufenden Kosten machen 2000 bis 3000 Euro im Jahr aus." In den USA sei es einfacher, ein Business aufzubauen, sagt Widmaier. Und im Gegensatz zu Deutschland, wo fast jeder vor sich hin werkle, gebe es dort eine "richtig offene Community. Jeder hilft jedem , die teilen auch technische Details." Von Josh Scott zum Beispiel, dem humoristisch veranlagten Youtuber und Chef von "JHS"-Pedals, habe er sich Marketing-Tipps geholt. Und Joel Korte von "Chase Bliss Audio" sei sein Ansprechpartner bei seiner Midi-Lösung gewesen.

Widmaier arbeitete 2013 noch als Projektmanager bei BMW in Garching. Abends holte er die Lötstation raus, tüftelte an Schaltungen und baute Verzerrer, Buffer und Kompressoren. Doch bald sei ihm das "zu viel geworden, meine Frau hat mich fast gar nicht mehr gesehen." Widmaier wollte seine Firma aufgeben, auch wenn er in den Jahren vor der Pandemie immerhin 200 bis 300 Pedale im Jahr in Deutschland und den USA verkauft hatte. Doch als er 2017 zum Betrieb SpaceControl im Technologiepark Seefeld wechselte, ermunterte ihn Firmeninhaber Bernd Gombert zum Weitermachen. "Ohmless" ist nun Bestandteil und Marke des Unternehmens, das 3-D-Sensoren zur Steuerung für Industrieroboter und Laserschneidemaschinen herstellt. Eine ideale Konstellation für den Geschäftsführer Widmaier: "Ich kann Hobby und Arbeit miteinander verbinden".

Lötarbeit: Marc Widmaier arbeitet an einer seiner Platinen. (Foto: Nila Thiel)

Wer an kreatives Kuddelmuddel denkt, wenn er sich die Höhle eines Pedalbauers vorstellt, liegt bei Widmaier total falsch: Sein Arbeitsplatz in der Seefelder Firma ist mehr aufgeräumtes Büro als wilde Werkstatt. "Ich kann nicht im Chaos arbeiten", sagt er dazu. In Regalen stehen Röhren, Transistor- und Digitalamps, mit denen der junge Mann seine Effekte ausprobiert. Daneben reihen sich vier Boxen mit Schubfächern für Kleinteile wie Potis, Widerstände und Transistoren aneinander. Auf dem Tisch stehen Lötstation und Steckschaltung. Hund Henry, ein Goldendoodle, trägt gerade eine Stoffpuppe durch die Gegend. Und an einer Wand hängen zwei Plakate, auf denen viermal der Name Jesus steht. Einmal ist er durchgestrichen, was seinen Tod symbolisieren soll. Widmaier ist nämlich gläubiger Christ und in der evangelischen Freikirche JCF in München aktiv. Er leitet dort eine der Bands und spielt bei den modernen Gottesdiensten Pop und Rock.

Wie er überhaupt auf "Ohmless" gekommen ist? Er hat den Namen mit einem Freund abends in der WG in Eching ausbaldowert. Die Hoffnung: Marc Widmaiers Bodenpedale würden sich widerstandslos, also ohmless, auf dem Markt durchsetzen. Ganz so ist es nicht gekommen. Aber klar, das kann noch werden nach dem Neustart.

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