Doris Dörrie beim Filmfest:Nach dem Inferno

Doris Dörrie beim Filmfest: Souveräner Ehrengast: Doris Dörrie nebem dem Leiter des Festivals, Matthias Helwig.

Souveräner Ehrengast: Doris Dörrie nebem dem Leiter des Festivals, Matthias Helwig.

(Foto: Arlet Ulfers)

Die Regisseurin Doris Dörrie zeigt in Starnberg ihren Film "Grüße aus Fukushima", in dessen Mittelpunkt die Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 in Japan steht

Von Gerhard Summer, Starnberg

Im Kino geht es eng zu, doch Doris Dörrie hat vorne eine Lücke entdeckt. "Hier sind noch vier Plätze frei", sagt sie ins Mikro, als sie ein paar Nachzügler auf der Treppe entdeckt. Sie trägt ein buntes, breit gestreiftes Kleid, das ein wenig afrikanisch aussieht, und natürlich ihre blonde kurze Sturmfrisur. Ersteres passt weniger gut zu "Grüße aus Fukushima", zweiteres ausgezeichnet. Später fällt ihr auf, dass es im Breitwand stickig ist, am Ende meint sie: Jetzt sei es aber an der Zeit, dass die Zuschauer an die frische Luft kommen. Kleinigkeiten, ja. Aber schön ist das doch, dass diese eloquente Regisseurin nicht nur an sich und ihren Film denkt, sondern auch an ihr Publikum.

Gut, Festivalchef Matthias Helwig und sein Team hatten, was die Ehrengäste betrifft, bisher so gut wie immer ein glückliches Händchen. Michael Ballhaus, der Kameramann, war ein glänzender Erzähler, Ulrich Tukur feierten die Besucher wie einen Volkshelden. Der Hollywood-erfahrene Wim Wenders trat in einem kühnen Mantel und ganz ohne Allüren auf. Und Michael Verhoeven war der Fels in der Festivalbrandung: Sogar merkwürdige Fragen beantwortete er mit unerschütterlicher Ruhe. Auch Dörrie hat diese Souveränität. Wenn in der Diskussion Lob für ihren dritten, in Japan spielenden Film kommt und sie sich bedankt, wirkt diese Freundlichkeit natürlich. Beeindruckend an ihren Erklärungen ist aber vor allem, wie stark sich Dörrie bei dieser Selbstfindungsgeschichte in Schwarz-Weiß um Authentizität bemühte und wie viele Recherchen und glückliche Zufälle, wie viel Puzzlearbeit in einer so durchgeplanten und trotzdem riskanten Produktion stecken.

"Grüße aus Fukushima" ist der erste Spielfilm über die Dreifachkatastrophe vom März 2011. Er feiert eine Konstellation, die bisher in der Filmgeschichte vernachlässigt worden ist: Eine Geisha lehrt einer jungen Deutschen Achtsamkeit. Ansonsten gehen fast nur Männer bei Männern in die Schule, mal abgesehen von Tarantinos "Kill Bill", da darf sich eine Frau mit Kampfkunst plagen. Dörrie war nach dem Inferno von Fukushima nach Japan geflogen ("ich dachte, ich kann nicht so tun, als hätte ich mit diesem Land nichts zu tun"). Eine Szene blieb ihr im Gedächtnis: ein alter Mann, der sagte, "in 20 Minuten war mein ganzes Leben verschwunden, ich kann das nicht verstehen". Doch es dauerte, bis sie ihre Geschichte hatte. Schließlich machte sie sich mit fünf Mann auf, drehte in der Stadt Minamisōma und in einem verwüsteten Haus elf Kilometer entfernt von der Reaktorleiche.

Die Crew übernachtete in einem Containerdorf für Bauarbeiter, die kontaminierte Erde wegschaffen sollen. Und alles, was sie und ihr Team einfingen, sei echt: jedes zerstörte Gebäude, die Menschen, die in Notunterkünften außerhalb der kontaminierten Zone leben, die jetzt nicht mehr Zone heißt, genauso wie der Mönch, der sie betreut. Heraus kamen Bilder, die mit das Faszinierendste sind an diesem Film über Schuld und Verlust: Sie haben Größe, geben dem Grauen aber keine Absolution.

Die Rolle der eleganten Geisha Satomi übernahm Kaori Momoi, die "Meryl Streep von Japan", so Dörrie. Die wunderbare 1,78 Meter große Rosalie Thomass, die in der japanischen Mondlandschaft riesig und neben Satomi wie ein blonder Elefant wirkt, spielt die deutsche Marie. Dörrie war die Schauspielerin vor zehn Jahren aufgefallen, Thomass habe damals in einem "Polizeiruf 110" "unglaublich gut gespielt, so was merke ich mir", sagte Dörrie und erzählte, dass die Figur Marie authentische Züge habe. Denn auch wenn sie schon 26 Mal in Japan war - jedesmal mache sie doch etwas falsch und fühle sich viel zu groß in der alten japanischen Architektur. Sechs bis sieben Wochen drehte das Team in und außerhalb der Non-Zone, dauernd wehte extrem starker Wind. Das sei gut für die Dramaturgie gewesen, aber auch gefährlich, weil keiner wusste, wie stark radioaktiv belastet der aufgewirbelte Staub ist.

Dörrie sprach viel über Sicherheitsvorkehrungen. Darüber, dass zumindest die Luftwerte in dieser leer gefegten Gegend auf Münchner Level gesunken seien und dass sie permanent die Belastung mit einem Messgerät prüften und die Werte Experten vorlegten. Man dürfe eben "nicht an die Hotspots fahren und in der Erde wühlen". Aber sie erzählte auch, dass sich Unvorsichtigkeit einschleiche und eine Tasche, die am Set war, abends dann doch auf dem Bett lande. Und so kann man die Entscheidung, in einer strahlenden Landschaft zu drehen, am Ende sehr couragiert finden, wichtig oder auch ziemlich naiv.

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