Wasserrettung:"Der gesunde Menschenverstand schwindet"

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Die Wachstation der DLRG in Possenhofen: Von hier aus starten die Wasserretter zu ihren Einsätzen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Auf Booten, mit Hunden, Drohnen und Tauchern rücken die Einsatzkräfte der DLRG in Pöcking rund 400 Mal jährlich aus. Wie sich die ehrenamtlichen Helfer am Starnberger See auf die Saison vorbereiten.

Von Leopold Beer und Viktoria Spinrad, Pöcking

Alarm, Alarm! Neoprenanzug an. Helm auf. Schwimmweste überziehen. Boot ins Wasser lassen. Tauchausrüstung an Bord. Motor starten. Leinen los. Und dann geht es mit Vollgas über den Starnberger See in Richtung Tutzing. Dort ist ein Segelboot gekentert. Einer der Segler ist zum Ufer geschwommen, zwei weitere werden noch vermisst. Ein Taucher springt ins Wasser. Fünf Rettungsboote bilden währenddessen eine Suchkette. Eine Drohne mit Wärmebildkamera steigt auf. Finden sie die Vermissten?

Ein Übungsnachmittag in Possenhofen. Von Anfang Mai bis Oktober sind die Wasserrettungsstationen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) am Starnberger See an Wochenenden und Feiertagen mit mindestens vier Leuten besetzt. Höchste Zeit, das Wissen der ehrenamtlichen Wasserretter aufzufrischen. Knapp 40 Frauen und Männer in gelb-roten Schwimmklamotten, allesamt Mitglieder der DLRG-Ortsverbände Pöcking, Schäftlarn-Wolfratshausen und Geretsried haben sich an einem sonnigen Maiwochenende zusammengefunden, um für den Ernstfall zu trainieren. Es geht um Flossen, Drohnen und auch um die Frage: Wie viel Ehrenamt verträgt die Lebensrettung?

Die meisten der Übungsteilnehmer sind an der Wasserrettungsstation in Possenhofen stationiert. 1959 wurde der Pöckinger Ortsverband der DLRG gegründet. Inzwischen absolvieren die Ehrenamtlichen rund 400 Einsätze pro Jahr. Für ihre Arbeit setzen sie modernste Technik ein: Seit einigen Jahren hat der Ortsverband eine Drohneneinheit. Die Flugexperten fahren mit dem Auto zum Einsatzort und können aus der Luft nach Personen oder Brandherden suchen. Dafür ist die Drohne mit einer Wärmebildkamera ausgestattet. Doch die Technik bereitet am Übungstag Probleme: Aufgrund der Polarlichter ist die empfindliche Elektronik gestört.

Das Übungsszenario: ein gekentertes Segelboot mit mehreren Verletzten im Wasser. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Mehr Sorgen bereitet den Wasserrettern jedoch ein anderes Thema: Nachwuchs ist nicht leicht zu finden. Dadurch können Schichten teilweise nicht besetzt werden. Das überrascht manche nicht, denn die Arbeit erfolgt rein ehrenamtlich und die Ausbildung dauert teils Jahre. Die Qualifikation zum Einsatztaucher etwa nimmt mit den erforderlichen Pflichtstunden gerne mal zwei Jahre in Anspruch. Im Gegensatz zu Freizeittauchern sind die Taucher der DLRG unter Wasser alleine. Nur mit einer Leine halten sie Kontakt zum sogenannten Signalmann an der Wasseroberfläche. Durch Ziehen an der Leine gibt er Anweisungen an den Taucher. Das erfordert viel Erfahrung und Übung. Viele der Ehrenamtlichen sind daher schon lange aktiv. Sebastian Rusche, 26, zum Beispiel lernte vor fast 20 Jahren Schwimmen bei der DLRG. Inzwischen ist er Bootsführer, Strömungsretter und für die Übung heute der Einsatzleiter.

Es ist eine Kombination aus Spaß, Freizeit und Professionalität, die die Übungsteilnehmer motiviert. Der Aufenthaltsraum in der Wachstation riecht nach Sonnencreme, die Retter sitzen in bequemen Sesseln. Der Tag hat - wie immer - mit einem gemeinsamen Frühstück begonnen. Das Zusammensein hilft, das Erlebte zu verarbeiten. Denn nicht immer gehen die Einsätze gut aus. Die Taucher zum Beispiel können nur selten Leben retten. In der Regel sind die Personen, die sie an die Oberfläche ziehen, bereits tot. Alleine in den bayerischen Seen ertranken im vergangenen Jahr 27 Menschen.

Einsatztaucher Andreas Mahr macht sich auf die Suche nach der vermissten Person. Dabei wird er von Quirin Roepke per Leine gesichert. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Dass rund 60 Prozent der Zehnjährigen nicht sicher schwimmen können, sei dafür nicht die Hauptursache. Vielmehr seien die Leute zu sorglos, erklärt Walter Kohlenz, Vorsitzender des Pöckinger Ortsverbandes. Stand-up-Paddler paddelten in der kalten Jahreszeit ohne Neoprenanzug oder Schwimmweste auf dem See, teilweise sogar ohne schwimmen zu können. "Gesunder Menschenverstand schwindet zunehmend", moniert Kohlenz, der seit 1994 bei der DLRG aktiv ist. Neue Gesetze braucht es seiner Meinung nach trotzdem nicht.

Im Landkreis Starnberg sehen das viele anders - nicht zuletzt der Landrat setzt sich in München für schärfere Regeln auf den bayerischen Seen ein, insbesondere eine Führerscheinpflicht für Motorboote. Auch eine Schwimmwestenpflicht für Wassersportler und eine Badekappen- oder Schwimmbojenpflicht für Schwimmer stehen zur Debatte. Derzeit arbeitet das bayerische Verkehrsministerium an einer Verschärfung der Schifffahrtsverordnung - diese ist allerdings bislang nicht abgeschlossen. Der Entwurf sei aber schon sehr weit gediehen, heißt es aus dem Ministerium. Derzeit werden noch Stellungnahmen geprüft und abgearbeitet. Welche der Wünsche dann tatsächlich Einzug finden, ist offen.

Geht es nach Kohlenz, sollte es mehr Information und Sensibilisierung zu den Gefahren am und im Wasser geben - und über die Arbeit der Wasserretter. Denn mangels gesetzlicher Regelungen seien die Ehrenamtler teils dem guten Willen der Politik ausgesetzt, wenn es um finanzielle Förderung geht. Ein Zuständigkeitsgewirr: Für Boote ist das Land zuständig, den Transport der Verletzten zahlen die Krankenkassen, für Liegenschaften gibt es keinerlei Regelungen. So bleibt die DLRG auf vielen Kosten sitzen.

"Wir sind immer Bittsteller"

Derzeit ist der Ortsverband beispielsweise auf der Suche nach einer neuen Heimat für seine Einsatzfahrzeuge und die Geschäftsstelle. "Wir sind immer Bittsteller", klagt Kohlenz. Dabei erledigten die Wasserretter die Aufgaben des Staates und gäben dafür ihre Lebens- und Freizeit.

So auch Alexander Rusche. Er ist der Bruder von Sebastian Rusche. Bereits bei einem seiner ersten Einsätze am Starnberger See hatte der Rettungsschwimmer gut zu tun. Es gab einen schweren Sturm, Vater und Sohn waren auf einem Segelboot unterwegs, schafften es aber nicht mehr an Land. Die beiden in Not Geratenen konnte er damals vom Boot holen und retten. "Für mich ist es das Schönste, schnell und direkt helfen zu können", sagt der 29-Jährige. Zudem sei das Haus der DLRG am See mit Grill, Getränken und einer schönen Terrasse der schönste Ort für Sommerwochenenden. Die Station in Possenhofen ist, wenn es nach Walter Kohlenz geht, eine der Schönsten am ganzen See. Er sagt: "Ich fühle mich hier immer sehr geborgen."

Sascha Hartmann, Walter Kohlenz und Markus Wiedergrün planen den Ablauf des Übungstages. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Und der vermisste Segler? Auf dem See sind die Retter derweil fündig geworden. Der Mann, der eben noch wie ein Schauspieler an der Wasseroberfläche geschwappt war, wird aufs Boot gehoben und dort reanimiert. Die Suche nach der dritten Person dauert an. Schließlich zieht der Taucher dreimal kurz an der Leine. Er hat jemanden gefunden. Allerdings erst rund 30 Minuten nach der Alarmierung. Ein Glück also, dass das Szenario nur eine Übung war.

Nun ist die Frage, was die Retter hätten besser machen können. Zeit für die Nachbesprechung der Übungen. Das Feedback: Die Suchkette der Boote war weniger eine Kette als ein buntes Zickzack. Aber es gibt auch Positives zu bemerken - vor allem zur Zusammenarbeit der verschiedenen Stationen. Und auch der PR-Effekt ist nicht zu unterschätzen: Am Ende trauen sich neugierige Zuschauer nach vorn und inspizieren das Rettungsequipment. Kleine Kinder gehen auf Tuchfühlung mit dem Boot, den Sauerstoffflaschen, den Schwimmwesten. Sie sind die potenziellen Retter von morgen.

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